„Ich war nie wirklich Grace Turner gewesen.“
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CW: Alkoholmissbrauch, Autounfall, Bodyshaming, Depressionen, Drogenkonsum und -missbrauch, Essstörung, Missbrauch an Minderjährigen, sexualisierte Gewalt, sexueller Missbrauch, selbstverletzendes Verhalten, Suchterkrankungen, Suizidversuch, Trauma, Überdosis
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Grace Turner ist wieder da. Nach ihrem letzten Drogenabsturz und dem plötzlichen Rückzug aus dem Rampenlicht kehrt die junge, talentierte Schauspielerin nach einer einjährigen Pause wieder in die Öffentlichkeit zurück. Doch nichts ist mehr wie zuvor. Grace‘ Weg zurück an die Spitze ist von unzähligen Hürden gesäumt – für sie gibt es keine Aufträge mehr, ihre Sponsoren und das Management haben sie verlassen und auch ihr Ehemann Dylan ist mittlerweile in einer neuen Beziehung. Doch die wohl größte Hürde: ihre Vergangenheit. Denn bald trifft sie wieder auf den Mann, der sie über Jahre hinweg Stück für Stück zerstörte – Able Yorke. Doch Grace‘ Weg zurück an die Spitze ist nicht nur von Hindernissen geprägt, sondern insbesondere von dem Kampf, sich selbst wieder zu finden und ihren Peinigern schließlich zu trotzen.
Eine Industrie voller Intrigen, Machtkämpfe und Verliererinnen
Ella Bermans Debütroman Das Comeback ist mehr als ein Porträt eines ehemaligen Teenie-Stars. Das Buch wirft einen umschweifenden Blick hinter die Kulissen des systematischen Machtmissbrauchs von Hollywood. Neben Prunk, Glamour und Reichtum wird in diesem Roman besonders auf die patriarchalen Strukturen der Filmindustrie und die Objektifizierung sowie Sexualisierung von Schauspielerinnen eingegangen. Stellenweise ist Bermans Roman gezeichnet von unerträglichen Charakteren, welche stellvertretend den männlich-dominierten Machtapparat der Unterhaltungsbranche symbolisieren und demnach beabsichtigt platziert sind. Auch Bermans Protagonistin Grace Turner – ein Künstlername, der ihr bereits in jüngsten Teeniejahren aus Promozwecken aufgezwungen wurde – ist eine komplizierte, zunächst eher unsympathische Figur. Dieser Umstand hat anfangs noch vorwiegend damit zu tun, dass man als Leser*in noch zu wenig über ihre Person weiß. Sie ist kalt, distanziert und wenig am Leben außerhalb ihres Kosmos des Elternhauses in Anaheim interessiert. Dieser Eindruck minimiert sich im weiteren Verlauf der Handlung, denn die Geschichte springt immer wieder zu früheren Sequenzen aus Grace‘ Leben zurück. Es sind eben diese Flashbacks und Szenen, in denen sie noch ein Kind war und ihre ersten Filme drehte, die die Protagonistin allmählich zugänglicher machen und die Empathie bei Leser*innen deutlich steigen lässt.
„Bin ich wütend? Die ganze Zeit.“
Bermans Hauptfigur ist mit keiner Faser vollkommen. Die zerrütteten Familienverhältnisse und die starken Abhängigkeitsprobleme sind nur zwei Indikatoren für ihre Fehlbarkeit und augenscheinliche Ziellosigkeit. Nach monatelanger Isolation wirkt Grace verschroben, hat Schwierigkeiten, Sozialkontakte aufrechtzuerhalten und generell kein Interesse daran, sympathisch zu wirken. Ihre traumatischen Kindheitserfahrungen und der ganze Schmerz, mit dem sie seit Jahren allein war, spürt man beinahe auf jeder Seite. Wie auch Robert L. Stevensons Dr. Jekyll & Mr. Hyde hat auch Grace zwei unterschiedliche Persönlichkeiten: Grace Turner – also die Version, die die Öffentlichkeit kennt, und Grace Hyde, die ihr wahres Selbst vor aller Welt versteckt hält.
Kurze Episoden des Glücks werden durch ständiges Selbst-Sabotieren zunichtegemacht, der berufliche Erfolg steht wiederholt auf der Kippe und all das passiert, während sich der Mann, der ihr die Kindheit stahl, wieder einmal in absoluter Sicherheit und Siegesfreude zu suhlen scheint. Als Grace von einer Journalistin über den vermeintlichen Machtmissbrauch ihres früheren Talentscouts ausgefragt wird, sieht sich die junge Frau erneut mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und plant letzten Endes ihren stillen und heimlichen Coup – den Fall von Able Yorke.
„Sie wollen nicht, dass du gewinnst.“
Bermans Roman steht sinnbildlich für die #Me-Too-Debatte der letzten Jahre. Mit den stark in der Öffentlichkeit diskutierten Missbrauchsfällen wie um Harvey Weinstein oder Sean Combs greift die Erzählung ein Kapitel des modernen Machtmissbrauchs auf, der seinesgleichen sucht. Auch wenn Bermans Geschichte Fiktion ist, zeichnet sie so authentisch die Schicksale vieler Frauen der Unterhaltungsbranche nach, dass sich Das Comeback wie eine Art Biografie lesen lässt. Auch das Schicksal der fiktiven Grace Turner steht symbolisch für die Scheindebatten über Feminismus und Gleichberechtigung in diversen Machtverhältnissen, die keineswegs das Interesse haben, Frauen zu fördern oder gar zu schützen. Auch wenn Bermans Protagonistin mithilfe ihres nuancierten Revenge Plots letztendlich doch ein Happy End bekommt, ist der Weg zum Ziel – ihr Comeback – alles andere als unkompliziert. Generell beschäftigt sich das Buch mit allerhand schwierigen, dunklen Themen, wirkt stellenweise bedrückend, doch auf keiner Seite überladen. Der Ton des Romans ist angenehm zurückhaltend und ernst, was die Botschaft der Geschichte unterstreicht: „Sie wollen nicht, dass du gewinnst“ und dennoch zeigt Bermans Protagonistin, wie sie sich ihre eigene Geschichte zurückerobert und am Ende nicht mehr das kleine verängstigte Mädchen aus ihrer Vergangenheit ist. Ein Plädoyer für den Kampf in einem unfairen System und den Ausbruch aus Machtspielchen gegenüber Künstlerinnen.
von Kristina Steiner

Ella Berman
Das Comeback
Übersetzt von Elina Baumbach
pola 2024
24,00 Euro
ISBN 978-3-7596-0009-7