Politik, Passion und Piano
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Von dem Regisseur Steven Spielberg als „one of the best told narratives I’ve ever witnessed“ bezeichnet und als einer der wohl einflussreichsten Filme aller Zeiten, verliert Casablanca auch 83 Jahre nach seiner Uraufführung in den USA (1942) nicht an Relevanz. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Schwarzweißfilm am 16.07.2025 einmalig im LICHTSPIEL Bamberg unter der Reihe „Und welcher ist Ihr absoluter Lieblingsfilm? Bamberger Persönlichkeiten stellen ihre Lieblingsfilme live vor“ zum 30-jährigen Jubiläum des Lichtspiels gezeigt wurde. Vorgestellt wurde der Film vom Oberbürgermeister der Stadt Bamberg Andreas Starke. In Casablanca skizziert Michael Curtiz eine jahrelang hoffnungslose Liebe und einen Mann, der sich zwischen dem eigenen Glück und dem selbstlosen Kampf für ein höheres Ziel entscheiden muss.
Im Jahr 1941 dient Casablanca als Treffpunkt allerlei bunter Figuren, die auf der Durchreise nach Amerika sind. Aufgrund des Zweiten Weltkriegs wollen viele in die Vereinigten Staaten fliehen, die Stadt stellt sich dafür als idealer Zwischenstopp heraus. Im Kleinen wird diese diverse Mischung an Charakteren im lokalen Nachtclub „Rick’s Café Americain“ widergespiegelt. Dieser Mix wird gleich zu Beginn durch eine beeindruckende Sequenz präsentiert, in der alle wichtigen Figuren des Nachtclubs innerhalb kürzester Zeit und mit wenigen Kamerafahrten gezeigt werden. Inhaber und Betreiber ist der Protagonist des Films Richard „Rick“ Blaine (Humphrey Bogart), der zu Beginn noch sehr schwer einzuschätzen ist. In der einen Szene wirkt er sehr kalt, in der anderen aber durchaus empathisch. Die Mehrdimensionalität seines Charakters wird gleich zu Beginn aufgezeigt. Bogarts großartiges Schauspiel macht diese komplexe Figur erst glaubwürdig. Aufgrund einer Verkettung von Zufällen und in einem dieser Einblicke in Ricks Mitgefühl gelangt der Cafébesitzer in den Besitz sogenannter Transitvisa. Viele Geflüchtete haben große Schwierigkeiten, aus Casablanca weiterzureisen. Der korrupte Polizeikapitän Louis Renault (Claude Rains) entscheidet quasi willkürlich, wer ausreisen darf und wer nicht. Diese Transitvisa sind hingegen eine uneingeschränkte Ausreisegarantie und dementsprechend wertvoll.
Durch einen weiteren Zufall kommen der Freiheitskämpfer Victor Laszlo (Paul Henreid) und seine Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman) in Ricks Café; beide auf der Flucht vor den Nazis. Letztere sind ausgerechnet zum gleichen Zeitpunkt in der Stadt, unter ihnen Major Heinrich Strasser (Conrad Veidt). Ilsa und Victor sind also auf eine schnelle Ausreise angewiesen, Rick und seine Transitvisen kämen da wie gerufen. Doch gleich in der ersten Konfrontation zwischen Rick und Ilsa wird den Zuschauer*innen die brisante Vergangenheit der beiden aufgezeigt, die von Liebe, Krieg und einem Vertrauensbruch gekennzeichnet ist. Dadurch entsteht ein interessantes Liebesdreieck zwischen dem Hauptcharakter Rick und den Deuteragonisten Ilsa und Victor, das sich durch den ganzen Film ziehen wird. Schließlich wird Rick in einem fesselnden Endteil vor die Wahl gestellt: zurück zu seiner alten Liebe oder diese für den Kampf gegen die Nazis opfern. Seine Entscheidung wird Filmgeschichte schreiben.
„Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.“
Was kann über den Jahrhundertfilm Casablanca gesagt werden, das noch nicht gesagt wurde? Trotz (oder gerade wegen?) seines Alters kann er in den 142 Minuten auf mehr oder weniger allen cinematischen Ebenen überzeugen. Gerade die Handlung, die Bildgestaltung und die musikalische Untermalung sind die Säulen, dank derer Casablanca die Kinolandschaft bis heute wie ein Leuchtturm überragt und antreibt. Auf den ersten Blick scheint der Plot nichts sehr Neuartiges oder Revolutionäres zu sein: Eine intensive Liebe, die durch äußere Gewalt auf die Probe gestellt wird und gegen ein höheres Ziel abgewägt werden muss. Wird die Geschichte allerdings im Kontext ihrer Entstehungszeit (mitten im Zweiten Weltkrieg) gesehen, erscheint die Handlung in einem deutlich anderen Licht. Die Situation in Ricks Café und der Stadt Casablanca war für viele Zuschauer im übertragenen Sinne die tatsächliche Wirklichkeit. Wie für die schauspielernden Flüchtlinge war auch die Zukunft des Publikums angesichts der Schrecken des Zweiten Weltkriegs ungewiss. Wie können Verpflichtungen eingehalten oder die Liebe aufrechterhalten werden, wenn die Welt auseinanderzufallen droht? Diese Fragen stellt sowohl der Film als auch das Leben selbst an die Zuschauer*innen. Wie wenige andere Filme hat Casablanca so präzise den Zeitgeist seines Publikums zur Erstveröffentlichung getroffen. Erstaunlicherweise dient er der heutigen Zuschauerschaft trotzdem noch als Zeitkapsel und metaphorisches Abbild der ungewissen Zukunft zur Zeit des Dritten Reichs. Auf diese Ungewissheit kann der Film dem Publikum in Person von Rick eine Antwort liefern. Der zu Beginn neutral-diplomatische Hauptcharakter ändert aufgrund der Konfrontation mit den Deutschen seine Lebenseinstellung, handelt aufopfernd und kämpft für das eindeutig Gute. Rick kann in seinem Widerstand gegen die Deutschen als eine Personifizierung Amerikas angesehen werden, die den Menschen eine hoffnungsvolle Zukunft verspricht.
Der Charakterwandel von Rick wird auf visueller Ebene wunderschön durch die Kameraarbeit von Arthur Edeson eingefangen. Indem die Schatten des Sets geschickt genutzt werden, ist das Gesicht von Rick häufig in eine dunkle und eine helle Hälfte unterteilt. Ein immer wiederkehrendes Stilmittel, das seine inneren Zweifel und seinen Zwiespalt auf beeindruckende Weise zeigt. Auch auf Ilsa trifft dies zu, die immer wieder zwischen der alten Liebe zu Rick und ihren neuen Verpflichtungen abwägen muss. Schatten bzw. Licht wird auch bei dem letzten im Bunde, Victor Laszlo, genutzt. Im Gegensatz zum zweifelnden Rick und der unentschlossenen Ilsa ist sich Victor seines Zieles sehr sicher. Er zweifelt zu keinem Moment an seinen Überzeugungen und gibt seinen Mitmenschen Hoffnung, weswegen er immer wieder in komplett hellem Licht dargestellt wird und seine Umgebung „erhellt“. Am eindringlichsten wohl in der Szene in Ricks Büro, als eben jener von Victor um die Transitvisa gebeten wird, damit er aus Casablanca fliehen und seinen Kampf gegen das Naziregime fortführen kann. Casablanca ist also ein Film, der sich durch das Medium „Schwarzweißfilm“ nicht einschränken lässt, es ganz im Gegenteil für sich und eine subtile Informationsvermittlung nutzt.
Ein weiterer Aspekt der geschickten Informationsvermittlung ist die letzte große Säule des Films, die Musik. Durch den hauseigenen Pianisten und langjährigen Freund von Rick,Sam (Dooley Wilson), kann der Film auf ganz natürlich Weise Musik nutzen, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Begegnen sich Rick und Ilsa unerwartet zum ersten Mal seit Jahren, wird von Sam zum Beispiel ein spannungsloses und im Ausgang sentimentales Stück gespielt. Dem Publikum werden erste Hinweise auf das Verhältnis der Hauptfiguren gegeben. Generell wird das ehemalige Liebespaar durch ein ganz bestimmtes Lied verbunden: „As time goes by“ von Dooley Wilson. Ein Lied, das die Anfänge der vom Schicksal getroffenen Beziehung begleitet und die beiden nicht loslässt. Findet ein Zeitsprung statt, kommen sich die beiden körperlich näher oder sehen sich sogar einfach nur an, im Hintergrund ist stets „As time goes by“ zu hören. Eine wunderschöne Reprise, die beim bloßen Anspielen die Emotionen der Zuschauer*innen beeinflusst.
„Ich seh‘ dir in die Augen, Kleines.“
Ob eines der bekanntesten Zitate der deutschen Filmgeschichte nun ein Synchronisationsfehler war oder nicht, sei dahingestellt. Fest steht, dass Casablanca einer der einflussreichsten und wichtigsten Filme Hollywoods ist. Er ist so umfassend und genreübergreifend, dass jeder etwas darin finden wird: Action, Thriller, Mystery und Romantik. Erstaunlicherweise ist dieser alte Film auch wirklich sehr lustig und trifft den Humor der heutigen Zeit gut. Wenn der Polizeikapitän Louis Renault zu Victor Laszlo sagt „Sie kommen nur mit einem Wunder aus Casablanca und Wunder haben die Deutschen verboten“ muss man aufgrund der Stumpfheit zumindest schmunzeln. Sogar der Rationalste und Abgestumpfteste wird seinen Spaß damit haben, wenn er die vielen bekannten Zitate/Szenen wiedererkannt, die aus der heutigen Popkultur nicht mehr wegzudenken wären. Casablanca ist eben einer dieser Filme, den jeder in seinem Leben zumindest einmal gesehen haben muss. Man sollte sich von seinem Alter und dem dementsprechenden Look nicht abschrecken lassen und dieser berühmten Geschichte von Korruption, Verfolgung, Krieg, Liebe und Betrug zumindest mal eine Chance geben. Vielleicht ist es ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft…
von Vincent Berwind
Michael Curtiz
Casablanca
Deutsche Übersetzung
Vereinigte Staaten 1942
142 Minuten
FSK 6






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