Sarah Lorenz – Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
Sarah Lorenz – Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken

Sarah Lorenz – Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken

Ist das Punk oder Poesie?

CW: Drogenkonsum, Gewalt (emotional, physisch und sexuell), selbstverletzendes Verhalten, Tod

Der Debütroman Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken von Sarah Lorenz verbindet Punk und Poesie und entfaltet anhand von Gedichten von Mascha Kaléko die Geschichte des katastrophalen Punklebens der Protagonistin Elisa.

„Wäre ich Ärztin, so würde ich bei leichter Schwermut ein Rezept für Maschas Gedicht ausstellen.“

Die Gedichte am Anfang eines jeden Kapitels dienen als Grundlage für die einzelnen Abschnitte aus Elisas Lebensgeschichte. Elisa reagiert auf die Gedichte und spricht die Dichterin persönlich an – als wäre sie mit ihr befreundet, obwohl Kaléko 1975 verstorben ist. Ehrlich und authentisch teilt sie Episoden aus ihrer frechen Kindheit, ihrer wilden Jugend und ihrer verzweifelten Suche nach Liebe zwischen Obdachlosigkeit und One-Night-Stands. Dabei reflektiert sie ihre eigene Biografie und gewinnt ein Bewusstsein für ihre Entwicklungen, welche von zahlreichen Stolpersteinen und Herausforderungen geprägt waren.

„Ich hatte doch alles. Nur keine Wärme. Also die Heizung ging, bitte nicht falsch verstehen. Es gab nur keine Arme, die für mich geöffnet wurden, und keine Ohren, die mir zuhören gewillt waren.“

Klar ist aber auch: Elisa bereut nicht alles. Zwischen all der Verzweiflung, den Abgründen und den Fehlentscheidungen gab es tröstliche, kostbare und zurecht unvergessliche Momente. Diese Augenblicke werden so filigran und präzise ausformuliert, dass kein Platz für überzogene Worte bleibt. Vielmehr zeigen sie das echte Leben – rau, schmerzhaft und doch unendlich wertvoll.  Elisa bezeichnet sich rückblickend selbst als Systemsprengerin und wendet damit den Blick nicht nur hin zu ihrem eigenen Versagen, sondern auch hin zu der Frage, wer noch Verantwortung für ihre Vergangenheit trägt. Abschnitte, in denen sie auf gesellschaftliches Versagen hinweist, werden geschickt genutzt, um feministische Perspektiven einzubringen und die Gefahr der Täter-Oper-Umkehr bei sexualisierter Gewalt offenzulegen. „Sie hätten sagen müssen: »Zieh dich wieder an, das geht uns nichts an, wie du nackt aussiehst.« Sie haben gesagt: »Mach weiter«.“

In ihren Ausführungen benennt Elisa ihre eigene Überforderung und gesteht auch anderen zu, dass sie überfordert mit ihr waren – der Familie, dem Jugendamt, der Polizei. Trotz allem bleibt die Frage: Wie konnte es so weit kommen? „Du kriegst doch kein Kind, badest es in Liebe, cremst es mit Geborgenheit ein, kleidest es mit Komplimenten, um es dann in einem großen Haus abzugeben, in dem immer Winter ist.“ Elisa entzieht sich der Realität, indem sie vom Himmel träumt und sich ausmalt, wie sie eines Tages mit Mascha Kaléko Kaffee trinkt. Maschas Gedichte helfen ihr dabei, ihre (gescheiterten) Beziehungen zu überdenken und Kraft zu sammeln, um die zukünftigen zu gestalten. 

„Leben ist das, was auf das Trotzdem folgt. Ist das Unsinn? Ist das einer dieser Sätze, die schlau klingen und gar nichts sagen? Oder einer dieser Sätze, die mit wenig alles sagen?“

Das Tempo der einzelnen Kapitel ist sehr unterschiedlich, was dazu führt, dass man das Buch zeitweise gar nicht aus der Hand legen und an anderen Stellen am liebsten zum nächsten Gedicht vorblättern will. Gleichzeitig fragt man sich permanent: Wie schlimm wird es denn noch und will ich davon überhaupt lesen? Halte ich es aus, dass es extremer, chaotischer und schrecklicher wird? Darin liegt zugleich die Stärke des Romans und die Herausforderung, die an die Lesenden gestellt wird. Wer Mascha Kalékos Gedichte liebt und bereit ist, sich auf eine Protagonistin, die mit viel zu kämpfen hat, einzulassen, wird Gefallen finden an diesem ungewöhnlichen und mutigen Debütroman von Sarah Lorenz.

von Jasmin Fuchs

Sarah Lorenz
Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
Rowohlt 2025
224 Seiten
24,00 Euro
ISBN ‎ 9783498006990

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