Angela Carter – Die blutige Kammer
Angela Carter – Die blutige Kammer

Angela Carter – Die blutige Kammer

Angela Carters Märchenwelten in neuer Übersetzung

CW: Folter, (sexualisierte) Gewalt, Tod

Angela Carters The Bloody Chamber ist 2025 in einer neuen deutschen Übersetzung von Maren Kames bei Suhrkamp erschienen. Schon lange gilt die Sammlung von Kurzgeschichten, die ursprünglich 1979 veröffentlicht wurde, als Klassiker feministischer Literatur. Darin nimmt Carter sich verschiedene Märchenstoffe vor – von König Blaubart über den gestiefelten Kater bis zu Rotkäppchen – und bearbeitet sie neu. Mit dieser Ausgabe sind die Texte nun in einer sprachlich frischen und zugleich literarisch anspruchsvollen Form auf Deutsch zugänglich und die Lektüre zeigt, wie zeitlos Carters Erzählungen sind.

„Zu viele Rosen blühten in den üppigen Hecken, die den Pfad säumten, Hecken übersäht mit Dornen, die Blumen selbst fast schon zu prächtig, ihre Blüten auf irgendwie obszöne Weise maßlos, die dicht mit Knospen besetzten Blütenstände geradezu anmaßend in ihrer Aufdringlichkeit.“

Was diese Sammlung so außergewöhnlich macht, ist, dass keine der Geschichten der anderen gleicht. Jede entwickelt eine ganz eigene Stimmung: mal dunkel und beklemmend wie in der titelgebenden Geschichte Die blutige Kammer, mal verspielt und grotesk wie in Der gestiefelte Kater und mal märchenhaft-melancholisch wie in Wolfs-Alice. Carter baut in jeder Erzählung eine Atmosphäre auf, die sofort in den Bann zieht, und variiert ihren Stil so, dass Sprache und Stimmung miteinander verschmelzen. Die Sätze können üppig, fast barock wirken, wenn Verführung, Gewalt und Geheimnis im Vordergrund stehen, oder ironisch-überdreht, wenn Tiere und Trickfiguren das Geschehen bestimmen. Dabei überzeugt Carter mit einer Bildmacht in ihrer Sprache, deren Dekadenz und Maßlosigkeit von Zeitgenossen oftmals kritisiert wurde, die ihr Schreiben aber unverwechselbar macht.

„Wie alle wilden Tiere lebt sie ohne Zukunft. Sie lebt nur in der Gegenwart, einem flüchtigen Kontinuum, in einer Welt sinnlicher Unmittelbarkeit, die ebenso frei von Hoffnung ist wie von Verzweiflung.“

Gerade Maren Kames’ Übersetzung trägt entscheidend dazu bei, dass diese Vielstimmigkeit im Deutschen spürbar bleibt. Wo andere Übersetzungen Carters Prosa eher glätten, lässt Kames die sprachlichen Extreme stehen. So klingt Carters Lust an Übertreibung und Ironie ebenso durch wie ihre Sinnlichkeit und Düsternis. Jede Geschichte liest sich wie ein sprachlich eigener Kosmos – eine Qualität, die der Band dadurch besonders eindrucksvoll entfaltet.

Unterstützt wird die Ausgabe durch Illustrationen von Julia Kissina, die den unterschiedlichen Stimmungen visuell nachspüren sowie durch ein Nachwort von Mithu Sanyal, das Carters Werk in einen feministischen und kulturgeschichtlichen Kontext stellt.

Feminismus zwischen Verführung und Widerstand

Carter selbst hat nicht den Anspruch, Erwachsenenmärchen zu schreiben, „sondern den latenten Inhalt der traditionellen Geschichten zu extrahieren und ihn als Ausgangspunkt für neue Geschichten zu verwenden“, wie Mithu Sanyal sie im Nachwort zitiert. Carters Geschichten sind somit nicht nur sprachliche Experimente, sondern auch radikale Neuverhandlungen von Geschlechterrollen. Indem sie bekannte Märchenstoffe aufgreift, legt sie die patriarchalen Machtstrukturen frei, die in ihnen stecken und dreht die Dynamiken zugleich um. Ihre Heldinnen sind keine passiven Prinzessinnen, die auf Rettung warten, sondern Figuren, die begehren, kämpfen, scheitern oder sich selbst ermächtigen. In Die blutige Kammer etwa wird der weibliche Blick auf Macht und Sexualität ins Zentrum gerückt, während die Rotkäppchen-Variationen mit weiblicher Lust und Selbstbestimmung spielen. Carter macht damit sichtbar, dass Märchen nicht nur unschuldige Geschichten sind, sondern Orte, an denen sich gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlecht, Gewalt und Begehren verdichten und neu erzählt werden können.

Die blutige Kammer ist damit mehr als eine Neuauflage eines Klassikers: Es ist ein Buch, das Leser*innen von Geschichte zu Geschichte in immer neue Welten versetzt und dabei zeigt, wie wandlungsfähig Sprache sein kann. Wer sich auf Carters Texte einlässt, erlebt ein Kaleidoskop an Atmosphären – düster, verspielt, melancholisch, grotesk –, das noch lange nachhallt.

von Judith Albert

Angela Carter
Die blutige Kammer
Aus dem Englischen von Maren Kames
Suhrkamp 2025
237 Seiten
25,00 Euro
ISBN 978-3-518-43241-9

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