Pier Vittorio Tondelli – Getrennte Räume
Pier Vittorio Tondelli – Getrennte Räume

Pier Vittorio Tondelli – Getrennte Räume

Vom Witwer eines Gefährten

Pier Vittorio Tondelli erzählt in Getrennte Räume von Einsamkeit, Trauer, dem Kampf sich die Liebe einzugestehen, von der ,Andersartigkeit‘ Homosexueller und Beziehungskonstellationen. Der italienische Autor verstarb 1991 im Alter von 36 Jahren an AIDS und ist bekannt für seine Werke, die sich dezidiert mit Homosexualität beschäftigen und zu Lebzeiten Zensuren ausgesetzt waren. Vier seiner Bücher wurden bisher ins Deutsche übertragen, Getrennte Räume erstmals 1993 mit der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Diese Version seines letzten Romans wurde nun bei Gutkind mit einem wunderschönen Cover neu verlegt.

„[E]r trägt die unauslöschliche Spur der Liebe zweier Menschen, Thomas und Leo, die gelebt haben und deren Existenz ihn wiegt, zärtlich, in der Tiefe des Herzens.“

In Paris lernen sich der Deutsche Thomas und der vier Jahre ältere Italiener Leo in einer unbenannten Zeit, die aber auf die 1980er Jahre schließen lässt, kennen und werden zu „Leo-und-Thomas“. Ihre Beziehung hält drei Jahre, verläuft zwischen drei Ländern, beinhaltet Höhen und Tiefen und mit 25 Jahren stirbt Thomas. Die Krankheit, die dies verursacht, wird nicht definiert, aber die Zeit, in der der Roman spielt und die Beschreibung, wie Leo Thomas, der ausgemergelt auf dem Krankenhausbett mit vor Angst und Verzweiflung weit aufgerissenen Kinderaugen im Sterben liegt, verabschiedet, lassen AIDS vermuten. 

„Leo und Thomas haben unter Schmerzen mindestens einen Sohn zur Welt gebracht. Und dieser in die Welt hinausgestoßene, denkende und handelnde Sohn ist heute der dreißigjährige Leo.“

Leo, nun ohne Thomas, aber mit den Erinnerungen an ihn, flieht quer durch Europa und spürt diesen Erinnerungen nach. Der Roman wird folglich immer wieder in Zeitsprüngen erzählt, die im Jetzt spielen, Stationen der Beziehung zwischen Leo und Thomas abstecken oder über Leos vorherige Beziehung, seine Kindheit und Jugend berichten. All dieses Zurückbesinnen aus der Perspektive, die vom 30. Lebensjahr Leos markiert wird, ist geprägt von der Trauer um den Tod Thomas‘, aber auch darum, wie sich die Beziehung zwischen ihnen entwickelte. Tondelli veranschaulicht anhand der Figur Leo deutlich, wie prägend eine Beziehung sein kann, indem er besonders die bedeutenden Unterschiede zwischen Hermann, Leos vorherigem Freund, und der Beziehung zu Thomas herausarbeitet, der, obwohl sie Großteils eine Fernbeziehung war und „nur“ drei Jahre dauerte, dennoch eine immense Bedeutung innewohnt: „Es waren nicht nur drei Jahre […]. Ich habe mehr als die Hälfte meines erwachsenen Sexuallebens mit ihm verbracht. Deswegen kann ich mit Fug und Recht sagen, dass Jahre in diesem Fall nicht zählen. Thomas war alles für mich. Er war mein Ideal.“

Tondelli verhandelt im Rahmen dieser Beziehung ebenfalls die ,Andersartigkeit‘ Homosexueller und das auf zwei Ebenen. Die Dimension der Beziehungskonzeption sowohl als die Dimension, wie homosexuelle Beziehungen – die Originalausgabe erschien erstmals 1989 – gesellschaftlich angesehen werden, dominieren den Roman.

„[Leo] ist plötzlich der Witwer eines Gefährten, der da liegt, als wären sie nie zusammen gewesen; und es gibt nicht einmal ein Wort, in keiner menschlichen Sprache, das ausdrücken könnte, wer er für ihn gewesen ist, kein Ehemann, keine Ehefrau, kein Liebhaber, nicht nur ein Gefährte, sondern der wesentliche Teil einer neuen, gemeinsamen Lebensgeschichte.“

Leo wird an das Sterbebett gerufen, darf sich verabschieden, aber dann hat er zu gehen, denn als Thomas‘ Leben zu Ende geht, wird er seiner Familie wiedergegeben. Leo „ist nicht mit Thomas verheiratet, hat keine Kinder mit ihm, keiner der beiden ist unter dem Namen des anderen im Standesregister verzeichnet, und es gibt auf Erden auch kein Kirchenbuch, in dem die Unterschriften der Zeugen ihrer Vereinigung niedergelegt wären.“ Tondelli markiert die Verheerung der mangelnden gesellschaftlichen (sowie damals rechtlichen) Anerkennung von homosexuellen Beziehungen, denn „die Liebe braucht die Welt, um sich bestätigt zu sehen“. Leo, der seine Trauer nicht so nach außen tragen kann, wie es ein heterosexueller Counterpart könnte und der ebenfalls nicht die Anteilnahme erfährt, wie es für den anderen der Fall wäre, verdeutlicht die exogen verursachte ,Andersartigkeit‘ des Homosexuellen. 

Die Aktualität des Textes auch gut 35 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen beweist sich an vielen Stellen, da die Sujets nicht an Gültigkeit verlieren und auch heute Identifikationspotenzial bieten. Besonders in Bezug auf heute stellt sich jedoch Folgendes ergreifend heraus: „Es werden Menschen zur Welt kommen, die auf neue Art und Weise versuchen werden, die verschiedenen Welten einander näherzubringen […]. Es wird endlich jemand geboren werden, in dessen Gedächtnis die Einheit „Leo-und-Thomas“ anerkannt, gehütet wird wie ein Wert, aus dem Leben und Hoffnung zu schöpfen sind. Erst in der Zukunft. Vielleicht erst in Hunderten von Jahren.“

„Ich soll dich lieben und es mir dann wieder abgewöhnen, wenn du es nicht mehr erträgst. Ich muss da sein und dann wieder verschwinden.“

Tondelli spielt mit dem Titel des Romans auf das Beziehungskonzept an, das Leo für sich mit Thomas verfolgt. Er möchte in getrennten Räumen, „in einer Beziehung der Zugehörigkeit, aber nicht des Besitzes“ leben, da er von Anfang an wusste, „dass er nie „alles“ für ihn würde sein können“. Genau hier knüpft der Autor wieder an die gesellschaftliche Komponente an, die in homosexuellen Beziehungen amplifiziert wird, denn „Zusammenleben, das bedeutete, an einen Wert zu glauben, den niemand würde anerkennen können. Sollten sie sich dazu zwingen, eine Beziehung zu normalisieren, die die Gesellschaft nicht als normal ansah?“. Leo kann jedoch nicht damit umgehen, dass sein Partner durch die getrennten Räume – der eine lebt in Berlin, der andere in Italien – „für ihn zu sehr Thomas und nicht mehr wie früher der Thomas von Leo-und-Thomas“ wurde. Im ersten Moment sollte man meinen, dass diese Reflexionen über Beziehungsmodelle, die von einer vermeintlichen Norm abweichen, mittlerweile be- und anerkannter sind – ein Blick heraus aus der queeren und bzw. oder großstädtischen Bubble stellt aber auch hier die Beständigkeit des Textes im Heute klar. 

„Frieden findet er nur in der Einsamkeit, von den engsten Freunden umgeben. Was er unternimmt, ist der Versuch, sich eine Familie zu bauen, eine eigentümliche Familie ohne Frauen und Kinder, in der die Bindungen dennoch kräftig und bewusst sind […].“

Das überbordende Motiv des Romans ist Einsamkeit. Einsamkeit, die, wie oben beschrieben, innerhalb einer Beziehung stattfinden kann und jene, in deren Fängen man sich befindet, wenn der Partner nicht mehr da ist. Tondelli spürt ihren Umständen sowie Ursprüngen nach, verhandelt ihre Bedeutung für die eigene Identität aus und lässt Leo als auch die Leser*innen zuletzt doch einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft des Lebens mit ihr werfen.

Das erzählerische und dabei vor allem sprachliche Können des Autors ist auf jeder Seite des Romans greifbar. So faszinierende Formulierungen wie Liebende, die sich mit Blicken streicheln, prägen sich beim Lesen ins Gedächtnis und bleiben auch nach der Lektüre dort. Um diesem sprachlichen Geschick und der literarischen Dichte von homosexueller Liebe, Beziehung und Identität beizuwohnen, ist Getrennte Räumezu empfehlen!

von Michaela Minder

Pier Vittorio Tondelli
Getrennte Räume
Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Gutkind 2025
240 Seiten
25,00 Euro
ISBN 978-3-98941-034-3

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