Holly Jackson – Not Quite Dead Yet
Holly Jackson – Not Quite Dead Yet

Holly Jackson – Not Quite Dead Yet

Ein Wettlauf gegen die Zeit


CW: Blut, Feuer, Gewalt, Kindstod, Mord, Schusswaffengewalt, Tod, Verletzungen

Sieben Tage hat Jet Mason noch zu leben. Höchstens. Das sagen jedenfalls die Ärzte, als sie am Tag nach Halloween im Krankenhaus aufwacht. Sie wurde in ihrem Zuhause so niedergeschlagen, dass sich ein Knochensplitter in der Mitte ihres Gehirns gelöst hat. Normalerweise wird in einem solchen, sehr seltenen Fall mit einer OP gewartet, das Sterberisiko ist mit 90 Prozent viel zu hoch. Aufgrund ihrer polyzystischen Nieren hat Jet dafür aber keine Zeit: Die Kombination aus der Lage des Splitters und des verstärkten Drucks auf ihre sehr schwache Arterienwand wird für die Bildung eines Aneurysmas sorgen, das, sobald es platzt, eine tödliche Blutung verursacht. Trotz des Drängens ihrer Mutter entscheidet sich Jet gegen die OP und nimmt die Folgen dieser Entscheidung in Kauf.

 Zum ersten Mal in ihrem Leben will die 27-Jährige etwas nicht nur anfangen, sondern bis zum Ende durchziehen: „Etwas Großartiges. Etwas, das noch nie jemand getan hat. »Ich werde meinen eigenen Mord aufklären.«”. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Kindheitsfreund Billy, der sie in dieser Albtraumnacht gefunden hat. Er ist der Einzige, dem sie vertrauen kann. Alle anderen Bewohner*innen der Kleinstadt Woodstock, ihre Freunde und ihre Familie erscheinen verdächtig, verstrickt in Lügen und voller eigener Geheimnisse. Jet muss so schnell wie möglich herausfinden, wer von ihnen sie tot sehen wollte und vor allem: warum.

Mit Spannung erwartet

Holly Jacksons neuem Thriller Not Quite Dead Yet, ins Deutsche übersetzt von Rainer Schuhmacher, wurde nicht ohne Grund entgegengefiebert: Die Idee ist unglaublich originell und Spannung ist damit vorprogrammiert. Jet ist eine tickende Zeitbombe. Im Aufbau des Buches wird das widergespiegelt, denn zusätzlich zu nummerierten Kapiteln gibt es eine Unterteilung in die Tage nach dem Angriff. Jackson bedient sich eines dichten Storytellings und lässt Jet schrittweise und damit so nachvollziehbar Verdächtige erkennen, aber auch wieder von der Liste ihrer möglichen Mörder streichen, dass ein paar Logiklücken verziehen werden können.

„Wovor hätte sie sich jetzt noch fürchten sollen? […] Mehr als tot konnte Jet nicht sein.“

Extrem unrealistisch wirkt hingegen, wozu Jet im Rahmen ihrer Ermittlungen noch körperlich in der Lage ist, obwohl sich ihr gesundheitlicher Zustand rapide verschlechtert. Das Kleinstadt-Setting bietet sich an, um mögliche Verdächtige, Verstrickungen und Geheimnisse in Jets Umfeld plausibel zu begrenzen. Weil die Geschichte mithilfe eines personalen Erzählers (fast ausschließlich aus Jets Perspektive) erzählt wird, lernt man viel über Jet, die anderen Charaktere bleiben aber größtenteils sehr blass. Das ist durchaus sinnvoll, da sonst viele Plot Twists nicht mehr funktionieren würden. Mit Jet mitzufühlen, fällt Leser*innen vielleicht trotzdem schwer, weil sie einen sehr dunklen Humor hat, der durch ihre Situation zum Teil übertrieben stark hervortritt, und sie eine „Mir-sind-alle-anderen-egal“-Haltung bei ihren Ermittlungsarbeiten einnimmt. Außerdem benimmt sie sich – genauso wie Billy – eher wie eine junge erwachsene Person, was sich auch in manchen Ausdrucksweisen wie beispielsweise „Cop-Sprech“, was sehr häufig verwendet wird, zeigt. Wenn nicht hin und wieder erwähnt werden würde, dass sie 27 ist, würde man das nicht annehmen. Daher fühlt sich Not Quite Dead Yet eher wie für Jacksons typische jüngere Zielgruppe geschrieben anstatt nach ihrem ersten Erwachsenen-Thriller an, als den der Lübbe-Verlag das Buch eingeordnet hat.

Nicht unerwähnt bleiben sollte das unglaublich gut gelungene Coverdesign von Erin Fitzsimmons und Scott Biel, das den Inhalt – erst, wenn man genauer hinschaut – brillant einfängt. Er zeigt einen Gehirnscan und stellt gleichzeitig eine auslaufende Sanduhr dar.

Holly Jackson hat erneut ein Buch mit einer genialen Grundstruktur, aber nicht immer realistischen Umsetzung geschaffen, welches dem Anspruch, ein Erwachsenen-Thriller zu sein, allerdings nicht gerecht wird. Wer ein Fan ihrer früheren Bücher ist oder darüber hinwegsehen kann, dem ist Not Quite Dead Yet trotzdem sehr zu empfehlen.

von Alina Köhler

Holly Jackson
Not Quite Dead Yet
Aus dem Englischen von Rainer Schumacher
Lübbe 2025
480 Seiten
22,90 Euro
ISBN 978-3-7577-0124-6

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