Flucht vor der Heimatlosigkeit
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CW: Drogenkonsum, Gewalt
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„Dies ist eine Liebesgeschichte, nebenbei gesagt.“ So beginnt Jardine Libaire ihren Roman Dein Herz, ein wildes Tier. Möglicherweise genau deshalb, weil man alles andere als eine Liebesgeschichte erwarten würde, wenn man den Klappentext liest. Die vier Hauptpersonen des Romans – Staci, Ray, Ernie und Coral – fliehen vor dem Gesetz und vor den Eigentümern des gestohlenen Drogengelds, mit dem sie sich auf den Weg in Richtung Texas machen. Dort angekommen mieten sie ein abgelegenes Haus, warten ab und hoffen, nicht gefunden zu werden. Was auf den ersten Blick wie ein Kriminalroman wirkt, ist eigentlich eine Studie über die Protagonist*innen und ihre Beziehungen zueinander – und, ja, Liebe spielt auch eine Rolle.
Staci ist eine gutaussehende Draufgängerin und ehemalige Striptänzerin, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben Ruhe wünscht. Ihren Partner Ray zieht es noch immer zum wilden Leben seiner Biker-Freunde. Ernie ist der Fürsorgliche der Gruppe, der mit sich selbst hadert und niemand weiß genau, wer eigentlich die stumme Coral ist. Auch als Leser*in erfährt man über sie nur das, was Ernie, Stacy und Ray beobachten – die Gerüchte, die über sie kursieren und von einer unaussprechlich schlimmen Kindheit erzählen. Der Roman gibt Einblicke in die Eigenheiten, Hoffnungen und Ängste der Charaktere – mit Ausnahme von Coral. Als geheimnisvolle Vierte im Bund ist nie klar, ob das Teenager-Mädchen das Kind ist, das von den anderen bemuttert wird, oder diejenige, die als Einzige erwachsen ist.
„Die Angst, auf der Flucht zu sein, war dem großen Unbehagen gewichen, als Fremde aufeinander angewiesen zu sein.“
Mit Beobachtungen wie dieser bringt Jardine Libaire ihren Leser*innen die Protagonist*innen auf lebendige Art nahe. Die farbenfrohe Sprache der Autorin zieht einen von Beginn an in die Geschichte und macht den Roman zu der Art von Buch, das man am liebsten nicht aus der Hand legen würde. Oft dreht sich die Erzählung darum, was in den verschiedenen Haupt- und Nebencharakteren vorgeht – um ihre Ängste, Hoffnungen und Träume. Sehr feinfühlig beschreibt Libaire das langsam entstehende Beziehungsgewebe zwischen den Protagonist*innen, die „die Heimatlosigkeit umhüllt […] wie ein Schwarm Kriebelmücken“. Gleichzeitig widmet sich die Erzählung auch der Landschaft und Natur auf nahezu lyrische Art.
„Früh am Abend ein schimmernder Halbmond am türkisblauen Himmel. Die dunklen Umrisse von Rehen auf der Straße. Rot blinkende Ampeln. Das schwache Leuchten der Fahrbahnmarkierung.“
Bildhafte Beschreibungen der Natur im Süden der USA und die Studien der vier Hauptfiguren des Romans fügen sich zu einem schillernden Gesamtbild, zu einem Portrait der Welt jenseits von Gesellschaft und Gesetzen, durch die die Figuren des Romans wandeln, jede*r auf der Suche nach dem eigenen Glück.
von Elly Winter

Jardine Libaire  
Dein Herz, ein wildes Tier
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul 
Diogenes 2025 
336 Seiten  
25,00 Euro  
ISBN 978-3-257-07328-7