Der Vorhang zu und viele Fragen offen
Was ist Sein und was ist Schein? Diese Frage hat nicht nur in Zeiten permanenter Selbstdarstellung auf Social Media, sondern auch in Thomas Manns fragmenthaft gebliebenem Schelmenroman zentrale Bedeutung. Paula Kläys Stück Felix Krull (Über Vergänglichkeit und Illusion, die Zeit, den Verfall, die Erinnerung, das Wetter und die Liebe) feierte am 14.11.2025 unter der Regie von Tamara Sonja Aijamathiesen am E.T.A. Hoffmann Theater Premiere.
Kläy greift auf Thomas Mann zurück, macht aber etwas ganz Eigenes aus dem Roman, den sie auf drei Figuren kondensiert: den charismatischen Felix (Leon Tölle), den liebessehnsüchtigen Hotelpagen Armand (Marek Egert) und die bissig demütigungsgeile Schriftstellerin Diane Philibert (Stephan Ullrich). Sie alle treffen in der Ruine des Grand Hotels zusammen, das baustellenartig heruntergekommen ist, aber dennoch den Glanz der alten Tage erahnen lässt sowie die Kühle der Gegenwart und Zukunft antizipiert. Wie das facettenreiche Bühnenbild (Anna Siegrot) vorwegnimmt und die Beleuchtung (Markus Göppner) geschickt akzentuiert, treffen in dem Stück Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinander, die immer weiter verschmelzen. So wird schon eingangs festgestellt, dass man die Vergangenheit nicht ohne Blick auf die Zukunft erzählen kann. Jede Form der Erzählung ist bereits ein Eingriff, eine Verschiebung der Realität.
„So wie Sie mich wollen, Felix, will ich sein“
Besonders eindrucksvoll gelingt Kläy das Changieren der Sprache. Ihr moderner Duktus wird immer wieder von Thomas Manns Sprache durchbrochen, sodass sich beide, Vergangenheit und Gegenwart, verbinden. Auch Diane Philibert, herausragend gespielt von Stephan Ullrich, ist ein Ereignis. Sie ist Schriftstellerin, liest Thomas Mann und möchte die Hauptfigur ihres Buches, Armand sterben lassen. Dieser versucht wiederum, als Mensch wahrgenommen, gesehen zu werden. Er sucht nach einer innigen Verbindung und danach, geliebt zu werden. In dem Versuch sich gegenseitig zu gefallen, verlieren sich die Figuren und werden auf sich selbst zurückgeworfen. Es stellt sich die Frage, was vom Menschen eigentlich bleibt, wenn die Verbindung zu anderen wegfällt.
Die Inszenierung der Inszenierung der Inszenierung
Was das Stück dem Publikum immer wieder vor Augen führt, ist das Schauspiel selbst. Die Figuren spielen andere Rollen, die sich ineinander verschieben. So überlagern sich gegen Ende die von Egert verkörperten Rollen Armand, Lord Kilmarnock und Felix‘ Vater, sodass nicht mehr zwischen ihnen zu unterscheiden ist. Auch dass wir uns im Theater befinden, wird immer wieder herausgestellt, wenn das Publikum Stichworte für den grandiosen und teilweise improvisierten Schlagabtausch zwischen Tölle und Egert liefert oder ein scheinbar zufälliges Handyklingeln die vierte Wand zerreißt. Damit verschwimmt die Inszenierung, der Traum, die Fantasie mit der Wirklichkeit und man darf, muss vielleicht die Frage stellen, ob es ein „Dahinter“ überhaupt gibt oder ob gerade das Schauspiel, die Erzählung die wahrhaftigere Wirklichkeit bereithält.
Realität, Traum, Zerfall, Identität, Zeit, Liebe, Altern, Gesellschaft, Kindheit
All diese Themen gehen ineinander über, überlagern sich. Doch was bleibt am Ende? Ist es die Angst, ob sich das Leben überhaupt lohnt? Oder das Leben selbst? Das Stück oszilliert zwischen den spezifischen Erlebnissen und dem Allgemeinen, das jede Existenz ausmacht. Nebenbei werden zahlreiche weitere Themen angerissen, bleiben aber häufig an der Oberfläche. Dass nicht alle großen Fragen in knapp zwei Stunden verhandelt werden können, sollte wohl niemanden überraschen. Deswegen hätte es dem Stück gutgetan, sich auf wenigere Themen zu beschränken, um ihnen gerechter begegnen zu können.
Die Ketten der Kausalität
Am Ende drohen die Ketten der Kausalität Armand die Luft abzuschnüren. Um sich aus ihnen zu lösen, bleibt nur ein Ausweg: Felix muss seine Erzählungen zurücklassen und verlässt die Bühne. Von außen blickt er durch die Glasfassade des Theatergebäudes, die hinter dem Seitenvorhang zum Vorschein kommt. Hier verschmilzt erneut Theater mit Außenwelt, Inszenierung mit Realität und die Antwort, ob diese vermeintliche Lösung tatsächlich eine ist, bleibt – wie so viele Fragen – offen.
Weitere Aufführungen von Felix Krull (Über Vergänglichkeit und Illusion, die Zeit, den Verfall, die Erinnerung, das Wetter und die Liebe) finden am 19.11., 25.11., 26.11., 06.12. und 11.12. um 20:00 Uhr sowie am 07.12., und 28.12. um 19:00 Uhr statt.
von Lavinia Richter






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