Schlippe aber auch.
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„Für alle, die gerade ein bisschen Magie gebrauchen können“ – Magie in Form eines neuen Romans von Kerstin Gier kann auf jeden Fall jede:r von uns brauchen. Mit Vergissmeinnicht – Was man bei Licht nicht sehen kann startet die Bestsellerautorin eine neue Trilogie. Durch die Geschichte um Quinn und Matilda, die beiden Erzähler:innen des Bandes, werden geschickt und spielerisch Romeo und Julia-Elemente mit übersinnlichen Wesen, magischen Fähigkeiten sowie überirdischen Welten verknüpft.
„Entweder also, ich war verrückt, oder all diese Dinge geschahen wirklich. Ich wusste nicht, was ich schlimmer finden sollte.“ (S. 64)
Quinn macht Parcour, ist beliebt und möchte sich auf einer Party von seiner Freundin trennen, als er von einem unbekannten Mädchen mit blauen Haaren nach draußen gebeten wird. Dort teilt es ihm rätselhafte Dinge über seine eigene Existenz mit. Als ihn kurze Zeit später eine Art Wolf und ein unsichtbarer Vogel verfolgen, rennt er um sein Leben, was jedoch in einem schwerwiegenden Unfall endet. Matilda lebt dagegen in einer christlichen Familie, liest gerne Fantasyromane und ist heimlich seit längerer Zeit in Quinn verliebt. Als dieser nach seinem Krankenhausaufenthalt mit Halluzinationen zu kämpfen hat, die er mit keinem seiner bisher Vertrauten teilen kann, ist es Matilda, die ihm tatkräftig zur Seite steht. Zusammen entdecken sie eine andere Welt, treffen mythische sowie magische Figuren und kommen sich währenddessen immer näher.
„Aber es macht viel mehr Spaß, zu zweit verrückt zu sein.“ (S. 227)
Quinn bemerkt schnell, dass Matilda in vielerlei Hinsicht hilfreich ist und sieht in ihr eine Verbündete, mit der er Gedanken und Vorkommnisse teilen kann, die ihm noch dazu sonst keiner glauben würde. Für Matilda ist die Zeit mit ihrem Nachbarn ebenfalls eine Art Flucht, ein Freiraum von ihrem konservativen Zuhause und ihrer Familie, wobei sie die Existenz von Feen und anderen unsterblichen, magisch-begabten Wesen ohne große Zweifel hinnimmt. Die Beziehung der beiden Jugendlichen liest sich unterhaltsam, was vor allem an Kerstin Giers wohl bekannten witzig lebendigem Schreibstil, ihrer nachvollziehbaren bildnerischen Erzählweise und ihren klugen Wortspielen liegt. Die Kombination aus Göttern, Mythen und Sagen, die alle ihren Ursprung im Saum* haben, ergibt einen spannenden Fantasyroman, der mit den folgenden zwei Bänden sicher eine Vertiefung findet.
Wer ist gut, wer ist böse?
Quinns Dasein als Nachfahre von Arkadiern, welche aussehen wie Menschen, jedoch magisch begabt sind, und sein direkter Zusammenhang mit einer Prophezeiung werden im Laufe des Romans aufgedeckt, wobei fast keine der aus dem Saum stammenden Figuren vollkommen vertrauenserweckend beschrieben wird. Vertrauensbrüche, Hierarchien und Diskriminierung sind auch im Saum beständig, sodass Quinn an vielen Ecken und Kanten Zweifel sieht – nicht zuletzt auch an Matilda.
In Kerstin Giers Vergissmeinnicht – Was man bei Licht nicht sehen kann werden erste Gegner:innen geschlagen, doch warten noch viele Inhalte, Details und Abenteuer in den zwei Folgebänden, auf die sich ein Warten in Vorfreude und Spannung mit Sicherheit lohnt.
von Paula Heidenfelder
*„Der Saum: Eine äh andere Dimension, die die Erde umschließt, so im metaphorischen Sinn. Wird von Menschen nach ihrem Tod durchquert, bevor sie ins Licht gehen. Ist als nicht materielle, geistige, aber trotzdem nicht hypothetische Parallelwelt neben der Erde nicht ganz leicht zu verstehen, […].“ (Auszug des Personenverzeichnis im hinteren Teil von Vergissmeinnicht, S. 475)
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Kerstin Gier
Vergissmeinnicht 1 – Was man bei Licht nicht sehen kann
S. Fischer 2021
480 Seiten
20 Euro