Goethe, der vergessene Naturforscher
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Johann Wolfgang Goethe, nicht nur Dichter, sondern auch Denker, ein Universalgenie, ein Intellektueller mit mannigfachen Interessensgebieten. Eines davon, die Natur, erkundet Stefan Bollmann in seiner tiefgreifenden Biografie Der Atem der Welt. Es ist eine Biografie, die einen neuen Fokus setzt und die Relevanz der goetheschen Naturforschungen aufdeckt, ja Goethe vielleicht sogar wieder in das richtige Licht rückt. So oder so gelingt es Bollmann, uns Goethe und sein Leben ganz nahe zu bringen.
„Goethe nur als Dichter zu verstehen, heißt zwar nicht, ihn grundsätzlich misszuverstehen, aber die Hälfte auszublenden. […] Statt Goethe nachträglich die Kompetenz als Naturforscher abzusprechen oder ihn zum Ahnherrn eines wissenschaftlichen Paradigmenwechsels wie der Evolutionstheorie zu erklären, stellt diese Biographie Goethe gewissermaßen wieder auf die Füße, wogegen die anderen in der Regel nur den Kopf oder das Herz betrachten“, so Bollmann über sein Unternehmen. Auf sechshundert dicht beschriebenen Seiten führt er uns den Dichter und Denker als vernachlässigten Naturforscher vor Augen. Als einen, der Steine sammelt, Bergpanorama zeichnet und über das Konzept einer Urpflanze sinnt. Anschauliche Anekdoten, die Goethes Faszination für die Natur, für das, was er sehen, fühlen und riechen konnte, auf beeindruckende Weise deutlich machen, führen zu einem ganzheitlichen Bild des Weltliteraten. Eines Mannes, der sein Leben lang Ruhe und Frieden in der Natur fand. Was Stefan Bollmann evoziert, ist der Wunsch, es Goethe gleichtun zu wollen und Freude in den kleinen Dingen des Alltags zu finden, im Sonnenaufgang, den ersten Blüten nach einem langen Winter oder im Farbenspiel eines Regenbogens. Im Laufe seiner Ausführungen lernen wir Goethe besser verstehen, sind mit ihm im Harz und in Italien, in Frankfurt und Weimar, machen Bekanntschaft mit Johann Gottfried Herder, Herzog Carl August und Alexander von Humboldt. Und wir erleben die Natur durch die Augen eines zu Unrecht verkannten Naturforschenden. Dies alles macht „Der Atem der Welt“ zu einer über alle Maßen beeindruckenden und akribisch recherchierten Biografie, die uns die Welt ein bisschen bunter erscheinen lässt. Umfangreich, eloquent, vielschichtig.
von Luisa Bader
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Stefan Bollmann
Der Atem der Welt. Johann Wolfgang Goethe und die Erfahrung der Natur
Klett-Cotta 2021
656 Seiten
28 Euro