„Es gibt keine Zeit mehr!“
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Wer hatte als Kind denn keinen imaginären Freund? Jemanden, mit dem man durch geheime Gärten streifen und Abenteuer erleben konnte. Was, wenn all diese Abenteuer gar keine Fiktion waren, keine Träume, sondern Realität und was, wenn es diesen besonderen Freund, den niemand außer dir sehen konnte, wirklich gibt? In ihrer Graphic Novel Der Mitternachtsgarten, einer freien Nacherzählung und Illustration des gleichnamigen Romans von Philippa Pearce, entführt Autorin und Künstlerin Édith junge wie ältere Leser*innen in einen Garten, der selbst den Verlauf der Zeit zu überdauern vermag.
Die Geschichte erzählt von Tom, der, aus Angst er könnte sich bei seinem masernkranken Bruder infizieren, für zwei Wochen zu seiner Tante und seinem Onkel geschickt wird. Dort muss der sowie so schon unglückliche Junge nicht nur mit Hausarrest leben, sondern auch mit seinen langweiligen, kinderlosen Verwandten und strengen Bettgehzeiten. Die Ferien könnten nicht schlimmer verlaufen. Doch als Tom eines Nachts die alte Standuhr im Treppenhaus um Mitternacht nicht zwölf, sondern dreizehn Mal schlagen hört und er sich darauf aus dem Bett stielt, um dem Ganzen auf die Spur zu gehen, offenbart sich ihm hinter der Eingangstür des Gebäudes ein überraschender Anblick. Dort wo am Tag noch der kleine, trostlose Hof war, entfaltet sich nun ein schier endloser, grüner, sonnenbestrahlter Garten vor dem Jungen. In dem Garten lernt Tom das Mädchen Hatty kennen und schon bald verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft. Doch wo genau befinden sich die beiden und wieso scheint Hatty sich mitjedem Besuch etwas zu verändern?
Der Garten der Kindheit
Als Kind war eines meiner absoluten Lieblingsbücher Der geheime Garten von Frances Hodgson Burnett. Es ist das einzige Buch, welches ich mehrere Male gelesen habe, so sehr hat mir die Vorstellung durch Zufall (oder doch Schicksal?) den Zugang zu einem geheimen Garten zu finden gefallen. Ein Garten, zu dem nur mir und meinen Freunden Zutritt gewährt war, ein Spielplatz, wo unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt wurden und wir uns nach Herzenslust austoben durften. Dort kletterten wir auf die höchsten Bäume, schrieben Briefe an unsichtbare Feenvölker, bauten versteckte Unterschlupfe und spielten Verstecken und Fangen bis die Nacht anbrach und manchmal sogar noch länger. Der springende Punkt solch eines Gartens war es, dass er geheim sein musste, das heißt irgendwie exklusiv und vor den langweiligen Verständen der Erwachsenen verborgen.
Auch Édiths geheimer Mitternachtsgarten erfüllt diese Bedingung. Ihre Illustrationen des Gartens, mit seinen knalligen Grüntönen und immer wieder neuen Einblicken in dessenEndlosigkeit, laden Lesende zum Träumen und Erinnern ein. Genauso die gemeinsame Zeit die Tom und Hatty in dem Garten verbringen. Leider ist die Sprache des Buches, womöglich aufgrund der Übersetzung, nicht ganz so schön zu lesen, wie gehofft. Formulierungen klingen manchmal etwas unnatürlich oder unklar. Auch fehlt es ab und an an Text, um die vielen abrupten Sprünge in der Geschichte wettzumachen. Trotz allem ist das Buch eine Empfehlung, gerade wegen seiner wunderschönen Gestaltung und der Message, die sich dahinter versteckt. Ein Lesetipp für große und kleine Fans geheimer Gärten.
von Amira Hajredini
Édith
Der Mitternachtsgarten
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Splitter 2022
104 Seiten
19,95 Euro