Max Osswald – Von hier betrachtet sieht das scheiße aus
Max Osswald – Von hier betrachtet sieht das scheiße aus

Max Osswald – Von hier betrachtet sieht das scheiße aus

Radikale Selbstfindung

Content Warning/Inhaltswarnung: Selbstverletzung, Suizid, häusliche Gewalt

Ben Schneider steckt im Hamsterrad fest: er ist fast dreißig, Wirtschaftsprüfer und wohnt in München. Neben dem ewig selben Kreislauf bringt der Suizid seines besten Freundes sein Fundament ins Wanken. Leere, Trauer und so einige Fragen machen sich in ihm breit: Wofür lohnt es sich zu leben? Lohnt sich mein Leben? Und für wen lebe ich eigentlich?

Auf all diese Fragen findet Ben nur eine radikale Antwort, nämlich, dass er sein Leben beendet haben möchte – aber es nicht selbst beenden will. Er wünscht sich, zu „gehen mit ‘nem Knall“. Der Drogendealer seines Vertrauens greift ihm dabei unter die Arme und so organisieren sie zusammen im Darknet einen Auftragskiller.
Der Roman hält trotz dieser klaren Prämisse einige Überraschungen bereit: Ben kündigt seinen Job, lernt neue Leute kennen, nimmt alte Kontakte wieder auf und begibt sich wagemutig aus der Comfort Zone seiner ‚gammligen Couch‘. Während die Lesenden dem zynischen und alles kritisierenden Ben in den vielleicht letzten fünfzig Tagen seines Daseins folgen, entwickeln sie mit ihm nicht direkt eine lebensbejahende Haltung, aber zumindest eine, die das Leben schätzen lernt. Und zwar genauso wie es ist: vergänglich, begrenzt und ungewiss.

Ein Auf und Ab mit Stärken und Schwächen

Mit Von hier betrachtet sieht das scheiße aus legt Max Osswald sein Debüt hin. Der Autor ist sonst in der Stand-Up- und Poetry-Slam-Szene tätig, was sich in seinem Stil widerspiegelt. Raffinierte kleine Wort- und Satzspiele finden sich verteilt im Roman, manche gelingen sehr gut, andere grenzen an zu viel Pathos. Eins der meiner Meinung nach sehr gelungenen Beispiele: „Ich habe nicht frei. Ich bin frei.“ Ganz ähnlich verhält es sich mit den Dialogen.  Einige von ihnen wirken sperrig, zu gestellt und schlichtweg unnatürlich. Andere gehen wirklich in die Tiefe und hallen zusammen mit den Empfindungen und Gedankengängen des Protagonisten in den Köpfen der Lesenden nach. Immer dann, wenn der Roman in solche Tiefen geht – vor allem in den Beziehungen, die Ben wichtig sind – zeigt er seine Stärken. In der Darstellung von und in der Interaktion mit anderen Figuren stützt sich Osswald zu oft auf Klischees. Zum Beispiel wenn er containernden Studierenden linke Standardsätze in den Mund legt oder ein Hippie-Festival beschreibt, bei dem „irgendwelche Hippies“ morgens schon „wieder irgendwas mit Liebe herumbrüllen“. Klar, ein bisschen Klischee bringt jeder „Ich-werde-eh-bald-sterben“-Stoff mit sich, das sollte dann aber gut dosiert werden. Als Ben beispielsweise das Auto seines ehemaligen Arschloch-Chefs mit einem Baseballschläger demoliert, macht das Ganze einfach Spaß und lässt eine*n schmunzeln.
Hoch anzurechnen ist dem Roman das Streben nach Inklusion und einem gewissen sozialen und politischen Engagement. In vielen Szenen, kurzen Unterhaltungen oder Reflektionen tangiert Osswald Themen wie Rassismus, Klassismus, Sucht, toxische Beziehungen oder Mobbing. Auch da reicht die Umsetzung von zu künstlich wirkend bis hin zu sehr gut eingebunden.

Was am Ende bleibt

Generell macht das Lesen von Von hier betrachtet sieht das scheiße aus Spaß. Neben den schon angesprochenen Schwächen verfügt der Roman über mindestens genauso viele starke Momente und stellt ein würdiges Debüt dar. Osswalds Witz und Einfälle sind besonders dann gut, wenn sie sich von Klischees und Phrasen fernhalten oder diese sogar unterlaufen. Dann entsteht eine Leichtigkeit, die eine*n Seite für Seite umblättern lässt.
Wenngleich nicht alle philosophischen Überlegungen oder Gedankenspaziergänge in ihrer erhofften Tiefe wirken, sondern zum Teil etwas zu platt daherkommen, schaffen es einige, die Lesenden zu durchdringen und leiten dazu an, das eigene Leben und die eigenen Entscheidungen zu reflektieren.

Am Ende von Bens Geschichte scheint jegliche Angst vor dem Ende des Lebens ausradiert. Auf überraschende Wendungen, Verlust, Versöhnungen und Trennungen folgt eine überdachte Lust am Leben – denn auch wenn „[a]lles vergeht. Alles kann trotzdem schön sein.“

von Theresa Werheid

Max Osswald
Von hier betrachtet sieht das scheiße aus
dtv 2022
336 Seiten
11,95 Euro

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