Unter der Guillotine
—
Wie wollen wir als Gesellschaft leben? Ein revolutionärer Umschwung, das Streben nach der Freiheit und der Wille zur Veränderung – dies ist der Ausgangspunkt von Georg Büchners Drama „Dantons Tod“, welches erstmals 1835 veröffentlicht wurde. In der gleichnamigen Premiere des Stückes am 27.Januar 2023 unter der Regie von Philipp Arnold im E.T.A. Hoffmann Theater zeigt sich: Auch heute noch sind die Grundgedanken des Dramas aktueller denn je.
Wir befinden uns in Paris zwischen dem 24. März und dem 05. April 1794. Die Bevölkerung wartet vergebens auf die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Zuge der Aufklärung – Hunger, Leid und der gnadenlose Tod durch die Guillotine stehen an der Tagesordnung. Gemeinsam möchten Danton und Robespierre die durch den Adel geprägte Gesellschaft verändern, doch verfolgen sie dabei unterschiedliche Ansätze, die sich fortlaufend voneinander entfernen. Daraus resultierend stellt sich Danton dem gewaltvollen Vorgehen von seinem ehemaligen Verbündeten Robespierre entgegen, wodurch dieser sich gezwungen sieht, Danton als Volksfeind zu deklarieren. Unterdessen plagen Danton immer mehr die eigenen Schuldgefühle und Zweifel, welche mit seinem eigenen Einfluss an den Geschehnissen einhergehen…
„Tonight feels impossible“
Bereits am Anfang wird das Publikum in eine „erbärmliche Wirklichkeit“ hineingeworfen. Hier zeigt sich die Härte und der Wunsch nach Freiheit und Zusammenhalt – eine Welt, die der unseren nicht allzu fern scheint. Gesichtslose Stoffpuppen werden auf komisch anmutende Weise durch eine kleine Selfmade-Guillotine im Hintergrund enthauptet, während sich die Geschichte im Vordergrund entwickelt. Nicht nur die Stoffpuppen sind der Gewalt gegenüber machtlos, sondern auch die Menschen selbst sind Marionetten in einem bizarren Theaterstückund werden von bösen Stimmen ins Unheil geleitet. „Dantons Tod“ wird dem Publikum auf eindringliche und ernste Art und Weise durch die Besetzung von Stefan Herrmann, Leon Tölle und Barbara Wurster in vier Akten vorgetragen. Dabei nehmen die Schauspieler*innen immer unterschiedliche Rollen ein – mal die des ehemaligen Verbündeten Robespierre, mal die der Geliebten Julie, verkörpern jedoch zumeist die Vielschichtigkeit des Hauptcharakters. Dantons Werdegang gleicht einer stetigen Abwärtsspirale, seine Schuldgefühle und böse Stimmen – stilisiert durch schwarze Masken – entziehen ihm die Realität und bescheren ihm fieberhafte Träume, die das grau-schwarze Bühnenbild in blutrotes Licht eintauchen. DieSchreckensherrschaft Robespierres zeigt sich in der Blindheit und Gleichgültigkeit der Menschen, die mit einer schwarzen Augenmaske stilisiert wird. Danton findet sich wieder in einem nicht enden wollenden Wahnsinn, während er seinen Wunsch nach einer neuen Welt fernab der sich wiederholenden grauenvollen Geschichte immer wieder als eindringliches Plädoyer ans Publikum richtet. Wollen wir nicht alle eine neue Welt erschaffen und uns einander wieder näherkommen? Die perfekte Illusion ist geschaffen. Magisch untermalt mit „Snow On The Beach“ von Taylor Swift und Lana del Rey scheint das Träumen nach einer besseren Welt in gar greifbarer Nähe, die radikale Idee und die Revolution wird in uns lebendig. Der Glitzerschnee fällt, das Licht scheint gelb-orange wie ein hoffnungsschenkender Sonnenaufgang, „die Revolution trägt unseren Namen“. Ist dies das Ende? So einfach ist es dann doch nicht. Danton erwacht aus seinem Fiebertraum und sein Wunsch nach einer besseren Welt wird nach und nach zu einer Besessenheit, in der sich Traum und Realität kaum noch unterscheiden lassen. Während Danton sich zwischen Hoffnungslosigkeit und wiedergewonnenem Mut wiederfindet, sieht Robespierre sich in seiner Ehre und Verbundenheit verletzt und verurteilt schließlich seinen einstigen Freund zum Tod. Auch Robespierre kämpft mit seinen widerstreitenden Gedanken, doch der Machthungergewinnt die Überhand. Was neben der düsteren Atmosphäre am Ende zurückbleibt, ist Dantons revolutionäres Träumen: der Wunsch nach Veränderung hin zu einer Welt, die wir als Menschen im Stande sind zu vernichten, aber auch gänzlich neu aufzubauen.
„Dantons Tod“ hallt noch länger gedanklich nach und gibt wichtige Impulse für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. In Dantons Mut und Hoffnung zeigen sich: Es lohnt sich, für ein wohlwollendes gesellschaftliches Zusammenleben einzutreten – dafür gibt es schlussendlich tosenden Beifall und Standing Ovations aus dem Publikum.
Die nächsten Aufführungen finden am 01.02., 02.02., 03.02., 15.02., 17.02. und 18.02. statt.
von Karina Hein