Rachel Joyce – Miss Bensons Reise
Rachel Joyce – Miss Bensons Reise

Rachel Joyce – Miss Bensons Reise

„Das Gefühl, wenn man schafft, was man sich niemals zugetraut hätte, ist unbeschreiblich.“

Content Warning: Geburt, Kindstod, Kriegstraumata, Selbstmord, Stalking

England in der Nachkriegszeit der 1950er Jahre. Margery Benson träumt seit ihrer Kindheit davon, den goldenen Käfer von Neukaledonien zu entdecken. Doch das Leben hat sie auf andere Pfade fernab ihrer Träumen geführt. Die 46-jährige alleinstehende Frau unterrichtet Hauswirtschaft, bis die Demütigungen ihrer Schüler*innen Überhand nehmen und sie unerwartet die Reißleine zieht. Margery bereitet sich kurz entschlossen auf eine Expedition auf die andere Seite der Welt vor, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen: die Existenz des goldenen Käfers beweisen und Exemplare an das Natural History Museum senden. Dafürbraucht die wagemutige Protagonistin eine Assistenz, sodass sie eine Annonce aufgibt. Alsalle Stricke reißen, bleibt Enid Pretty ihre letzte Wahl. Am Tag der Abreise trifft Margery auf die junge attraktive Frau, die ununterbrochen redet und ihr auf Anhieb unsympathisch ist. Denn unterschiedlicher könnten die beiden Frauen nicht sein. Doch die Reise zwingt Margery, sich mit sich selbst und unverarbeiteten Traumata auseinanderzusetzen. Zwischen der Expeditionsleiterin und Enid entwickelt sich langsam eine tiefe Freundschaft. Doch Margery weiß nicht, dass die beiden von einem Kriegsveteran und einer dunklen Geschichte verfolgt werden. 

Der Roman „Miss Bensons Reise“ von Rachel Joyce zeigt, dass es für die Erfüllung von Lebensträumen nie zu spät ist. Die beiden Charaktere Margery und Enid erleben eine enorme Entwicklung, die sie zu äußerst sympathischen Protagonistinnen macht. Die käferbegeisterte Frau erwacht zu einem neuen Selbst und wächst über sich hinaus. Durch Rückblenden in Margerys frühe Kindheit gewinnen Lesende tiefe Einblicke in die Seele der anfangs resignierten Frau, an der das Leben zunächst vorbeigezogen ist. Rachel Joyce schreibt mit Leichtigkeit und Humor, wobei sie durch die Anwesenheit eines unentdeckten Verfolgers und Enids mysteriöse Vorgeschichte die Spannung aufrechterhält. Zwischen den Zeilen klingt durch, wie sehr der Autorin die beiden Charaktere am Herzen liegen. So bildet das liebevolle Interview zwischen der Schriftstellerin, Enid und Margery einen wundervollen Abschluss nach dem tragischen und zugleich hoffnungsvollen Romanfinale. Zu Beginn fällt es zwar schwer, mit den Protagonistinnen zu sympathisieren, doch mit jeder Seite lernt man die schrägen Freundinnen mehr zu schätzen. Die Geschichte ist erfrischend, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Thema Freundschaft und erinnert an den Wert platonischer Beziehungen und an die Existenz glücklicher Lebensentwürfe fernab von Liebespartnerschaften. Margery und Enid bleiben stets in Bewegung und entdecken neue Horizonte, zu denen die Lesenden in Gedanken aufbrechen können. Besonders MargerysFaszination für die natürliche Schönheit des Urwalds entführt die Fantasie an geheimnisvolle Orte. Der lebendige und mutige Reiseroman lädt ein, sich entgegen der Vernunft verlorenen Träumen hinzugeben und herauszufinden, welche Gestalt der persönliche goldene Käfer im eigenen Leben annehmen könnte. 

von Elisa-Maria Kuhn

Rachel Joyce
Miss Bensons Reise
Aus dem Englischen von Maria Andreas-Hoole
Fischer Krüger 2020
480 Seiten
20 Euro

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