Gabrielle Zevin – Morgen, morgen und wieder morgen
Gabrielle Zevin – Morgen, morgen und wieder morgen

Gabrielle Zevin – Morgen, morgen und wieder morgen

Bereit für ein neues Morgen?

Content Warning/Inhaltswarnung: Depression, Drogen, Krankheit, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, Suizid, Tod

„Versprich mir, dass du mir immer wieder verzeihen wirst, und ich werde dir immer verzeihen.“ – Mitte der 90er-Jahre in Massachusetts, USA: Sam Masur und Sadie Green treffen sich nach jahrelanger Funkstille an einer U-Bahn-Station wieder. Er kämpft gerade mit der fehlenden Lust für sein Mathematikstudium und einem leeren Portemonnaie, sie studiert Computerspieldesign am MIT und will beweisen, dass sie mehr als nur eine ‚Quotenfrau‘ ist. Und genau wie bei ihrer ersten Begegnung mit knapp 12 Jahren stellen sich beide Leben mit dem Neustart ihrer Verbindung vollkommen auf den Kopf.

In Morgen, morgen und wieder morgen umspannt Gabrielle Zevin mehrere Jahrzehnte von Sam und Sadies Freundschaft und Rivalität. Die beiden werden auch auf kreativer Ebene ein Team und beginnen, selbstständig Videospiele zu entwickeln. Nebenbei durchlebt man mit den Charakteren die Popkultur der 90er und 2000er Jahre und fühlt sich als Gamer*in in die ersten wackligen Versuche zurückversetzt, die Spitze der Fahnenstange in Super Mario Bros. zu erreichen. Doch auch für nichtspielende Leser*innen wird das Buch an keiner Stelle langweilig.

„Obwohl sie am liebsten selbst spielte, machte es Spaß, einem so geschickten Spieler zuzusehen – es war, als beobachtete man jemanden beim Tanzen.“

Die Autorin hat einen unverwechselbaren und einnehmenden Schreibstil, den die Übersetzerin Sonia Bonné wunderbar einfangen konnte. Zu keinem Zeitpunkt wirkt ein Wort oder Satz deplatziert – über die Einschübe in Klammern und fiktiven Interviews stolpert man beim Lesen nie, sondern schmunzelt über den Humor und die Authentizität. Auch ihre Charaktere sind humorvoll, selbstironisch und vor allem menschlich. Sie haben Ecken, Kanten und Kommunikationsprobleme, die mich oftmals zur Weißglut gebracht haben. Aber genau die haben wiederum zu der Beziehung von Sam und Sadie gepasst, die ein reines Auf und Ab war.

Neben der Hassliebe der Protagonist*innen lernen wir auch andere Charaktere und ihre Verbindungen zueinander kennen. Besonders Sams Mitbewohner Marx, der anfangs im ganzen Gefühlswirrwarr eine untergeordnete Rolle spielt, wird im Laufe der Handlung zum heimlichen Helden, der den Laden – das von ihnen gegründete Videospielstudio Unfair Games – am Laufen hält. Er ist der Kitt, der Sam und Sadie zusammenbringt und sich um beide rührend kümmert. Auch Ant und Simon, die zum Team dazustoßen, sind eine Bereicherung für das Handlungsgeschehen und ich hätte sie nicht missen wollen.

Ebenso wie die Gestaltung des Buches. Das Cover ist auffällig bunt und zeigt Katsushika Hokusais Die große Welle vor Kanagawa. Das Bild sowie die japanische Kultur spielen vielfach eine Rolle, ob nun als Kunstwerk in Sadies Zimmer oder als Inspiration für den ersten Computerspiel-Hit des Studios, Ichigo. Obendrein ist es ein wunderschönes farbenfrohes Schmuckstück für das eigene Bücherregal.

Gabrielle ZevinsWerk ist seinen Hype (eine Verfilmung ist bereits in Planung) mehr als Wert. Die Autorin zeichnet die Geschichte zweier Personen, die mehr als Liebe oder Freundschaft verbindet. Das gemeinsame Spielen, das Überwinden von Traumata und der Glaube aneinander werden auf emotionale Weise im Roman verarbeitet. Die Rezipient*innen erhalten mit Morgen, morgen und wieder morgen ein besonderes Leseerlebnis, welches alle Nuancen einer menschlichen Beziehung auserzählt und nachdenklich zurücklässt.

von Celine Buschbeck

Gabrielle Zevin
Morgen, morgen und wieder morgen
Aus dem Amerikanischen von Sonia Bonné
Eichborn 2023
560 Seiten
25,00 Euro

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