Yoshiyuki Sadamoto – Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 4
Yoshiyuki Sadamoto – Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 4

Yoshiyuki Sadamoto – Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 4

Zurück in den Mutterleib

Da diese Rezension den vierten Band der Reihe bespricht, kann sie Spoiler für frühere Bände enthalten.

„‚Evangelion‘ ist mein Leben, und ich habe alles, was ich weiß, in dieses Werk gesteckt. Das ist mein ganzes Leben. Mein Leben selbst.“ So spricht der Schöpfer des Anime Neon Genesis Evangelion, Hideaki Anno, über seine Arbeit. Wer sich auf den Anime oder den Manga einlässt, und zwar so richtig einlässt, wird kaum bestreiten können, wie stark seine Stimme als Künstler zu spüren ist. Zwar wird dem Publikum sehr viel Neues an den Kopf geworfen und die schiere Menge an Referenzen auf verschiedenste Religionen wirkt manchmal erdrückend, aber mit dem vierten Band der Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition ist der Punkt erreicht, an dem die Leser*innen puren Anno bzw. Sadamoto zu sehen bekommen.

Gleich zu Anfang des Bandes steht die paramilitärische Organisation NERV nämlich vor einem Problem: Shinji wurde bei seinem letzten Einsatz von seiner Evangelion-Einheit absorbiert. Er ist schlicht nicht mehr vorhanden. Schnell wird bestätigt, was im vorherigen Band bereits angedeutet wurde – Shinji ist nicht der erste, dem das passiert ist. Seine Mutter Yui wurde viele Jahre zuvor von der gleichen Einheit assimiliert. Die Freudschen Implikationen sind hier schon längst nicht mehr subtil, aber Shinjis Erfahrung im Inneren (oder Äußeren?) der Evangelion-Einheit und damit seiner Mutter sind äußerst fesselnd.

Im Netz Adams

Während Shinji gemeinsam mit seiner Mutter die Traumata seiner Vergangenheit ein weiteres Mal durchlebt, steht allerdings auch NERV nicht still. Reis Identität als einer der vielen Klone von Shinjis Mutter wird beispielsweise für die geneigte Leserschaft immer klarer und ihre eigene Emanzipation als Mensch prallt auf die emotional kalte Ritsuko, die in vielerlei Hinsicht das erwachsene Gegenstück zur jungen Pilotin darstellt. Wie eine Spinne verbindet Sadamoto, bzw. Anno, die Leben aller Charaktere und man kommt nicht umhin, sich zu verfangen. Intrigen, Liebe, Freundschaft und Verrat spielen sich vor dem Hintergrund ständiger Rückblenden ab, die so viele Fragen offenlassen, wie sie beantworten. Was macht der gekreuzigte Engel im Keller der Geofront? Warum ist Shinjis EVA-Einheit anders als die anderen? Was hat es mit der, ja, DER Longinuslanze auf sich und wer ist wirklich der Anführer bei NERV?

Band 4 überzeugt mit absolut allem. Das Tempo ist fantastisch, den Charakteren gelingt der Balance-Akt, gleichzeitig over-the-top und glaubhaft zu bleiben, Hideaki Annos Schmerz wird auf den Seiten förmlich spürbar und mein obligatorisches Lob an Sadamotos herausragende Kunst darf natürlich auch nicht fehlen. Der große Star in diesem Band ist zweifelsohne Shinjis EVA-Einheit, die demaskiert wird und für den bisher schönsten Body Horror-Moment in Neon Genesis Evangelion sorgt, aber fast noch mehr beeindruckt hat mich, wie grandios es Sadamoto gelingt, Rei und Yui in Schwarz-Weiß einen jeweils eigenen Look zu geben, obwohl beide Charaktere letztlich exakt gleich aussehen. Die Perfect Edition ist auch im vierten Band weiterhin ein absolutes Muss für Evangelion-Fans und ganz ehrlich auch eigentlich für jeden, der mit Manga, Science Fiction oder vergleichbarem auch nur ein bisschen etwas anfangen kann.

von Felix Ritzmann

Yoshiyuki Sadamoto
Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 4
Aus dem Japanischen von Antje Bockel
Carlsen 2023
364 Seiten
18,00 Euro

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert