Anna Herzig – 12 Grad unter Null
Anna Herzig – 12 Grad unter Null

Anna Herzig – 12 Grad unter Null

„Mann sein als Rechtsgrundlage“

Content Warning/Inhaltswarnung: Darstellung von physischer und psychischer Gewalt in Partnerschaften und Familienstrukturen, Gewalt gegen Kinder sowie sexuelle Nötigung

Eine Gesellschaft, in der ein Gesetz Männern die Macht gibt, von Frauen jegliches Geld, das sie in sie investiert haben, zurückzuverlangen. Wenn es der Frau nicht möglich ist, dem nachzukommen, droht ihr der Entzug sämtlicher Rechte. Genau das passiert 2024 im fiktiven Sandburg und „damit war alles möglich und den Rachefantasien keine Grenzen mehr gesetzt“.

Anna Herzig erzählt die Geschichte zweier Schwestern und ihrer Mutter. Davon wie ihr Leben schon immer von Männern bestimmt wurde und dieses Ausgeliefertsein in der neuen Gesetzeslage gipfelt. Greta, die jüngere Schwester, ist im sechsten Monat schwanger und trotzdem fordert ihr Verlobter, jedoch ohne sich von ihr trennen zu wollen, auf Basis der neuen Rechtsgrundlage sein Geld. Der Gleichgültigkeit ihres Verlobten ausgeliefert, sucht sie in ihrer Verzweiflung Hilfe bei der älteren Schwester. Der erneute Kontakt der Schwestern bringt die Konflikte der Kindheit an die Oberfläche. Diese sind gezeichnet von einem Vater, der als narzisstischer Patriarch die Mutter sowie die ältere Tochter tyrannisiert, während Greta als Goldkind verschont bleibt. Die vielschichtigen Kämpfe der Mutter gegen den Vater, für die Kinder und für sich selbst legen die unterschiedlichen Formen von Gewalt in Partnerschaften und Familienstrukturen offen. Es wird eindringlich klar: „Femizid beginnt bereits an der atmenden Frau“.

Wie viel fehlt von Dystopie zu Realität?

Herzig schafft es auf weniger als 150 Seiten eine Dystopie aufzubauen, von der man hofft, dass sie für immer Dystopie bleibt, die aber gleichzeitig zwingt zu erkennen, wie viele Grundstrukturen dafür bereits in unserer Gesellschaft existieren. Der brutale, raue und schonungslose Ton Herzigs illustriert die Ohnmacht der Frauen gegenüber Männern, die strukturelle geschlechtliche Ungerechtigkeit und die Komplizenschaft der ‘pick-me girls’, der Anti-Feministinnen, in Sandburg sowie im Hier und Heute auf erschütternde Weise. Dadurch, dass die Autorin die moderne patriarchale Gesellschaft konsequent ausformuliert, muss man sich als Leser*in der Frage stellen, wie viel wirklich noch fehlt, bis Sandburg zur Wirklichkeit wird.

Herzig schließt selbst auf treffendste Weise: „Die perfekte Mutter und die perfekte Tochter und die perfekte Geliebte und die perfekte Ehefrau sind unerreichbare Erfindungen von Männern für Männer, um Frauen und ihre Töchter und deren Töchter für immer in einer Schuld zu halten, die nie bezahlt wird“.

von Michaela Minder

12 grad unter Null anna Herzig Cover

Anna Herzig
12 Grad unter Null
Haymon Verlag 2023
144 Seiten
19,90 Euro

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