Dirk Oschmann – Der Osten: eine westdeutsche Erfindung
Dirk Oschmann – Der Osten: eine westdeutsche Erfindung

Dirk Oschmann – Der Osten: eine westdeutsche Erfindung

Der Osten – ein Geschwür?

„Über den ‚Osten‘ als jemand aus dem ‚Osten‘ zu sprechen, ist so schwierig wie ermüdend, wie es offenbar notwendig ist.“

Dirk Oschmann ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Leipzig und einer der wenigen Ostdeutschen, der – so wird er später anhand von Studien belegen – eine gesellschaftliche Spitzenposition innehat. Was zunächst als Artikel in der FAZ beginnt, nimmt durch eine Welle an Reaktionen seinen Lauf und mündet schließlich in dieser Wutschrift, die weniger den Osten und vielmehr den Westen in den Blick nimmt.

„So isser, der Ossi“

Für Oschmann sind vor allem die Medien in westdeutscher Hand zu nennen, die Ostdeutsche wiederkehrend als faul, dumm und Nazis diffamieren. So auch als herausgestelltes Beispiel DER SPIEGEL, der mit der Ausgabe „So isser, der Ossi“ einige Klischees bereits auf dem Cover reproduziert. Manche Aussagen bekannter Medien kann man definitiv noch mit Humor nehmen, doch bei Äußerungen hochdekorierter Personen der Öffentlichkeit, wie des Publizisten Arnulf Baring, der Menschen aus Ostdeutschland keine Erziehung und verhunzte Ausbildungen attestiert, sowie Armin Laschet, der Ostdeutschen gleich ganz den Respekt vor ihren Mitbürger*innen abspricht, wird einem ganz anders. 

Ein Kapitel widmet Oschmann gesondert der Löschung des Bild- und Textgedächtnisses. Hierbei geht es um den deutsch-deutschen Literaturstreit von 1990, bei dem den Werken der DDR – allen voran denen der Schriftstellerin Christa Wolf – vorgeworfen wurde, Moral über Ästhetik gestellt zu haben. „Man kennt und liest [die DDR-Literatur] nicht, weil sie aus dem ehemaligen Osten kommt und deshalb nichts wert sein kann“, schlussfolgert Oschmann schließlich. Ebenso kommt das Verschwinden von bildender Kunst aus der DDR in deutschen Museen und Ausstellungen zur Sprache, wobei DDR-Kunst mit der Kunst des Nationalsozialismus gleichgesetzt wurde und wird.

Der Autor entlarvt hier den Westen als Normsetzer, der den Osten und seine Kunst „als Abweichung, als Abnormalität, Abnormität“ oder gar als Geschwür betrachtet. Oschmann ist der durchweg negativ konnotierten Zuschreibungen müde und versucht in den folgenden Kapiteln die Vorurteile auszuhebeln: Der Osten hat beispielsweise ein Demokratieverständnis, eben weil er sich aus einer Diktatur befreit hat, nicht das Gegenteil. Auch hat nicht nur Ostdeutschland ein Problem mit Rechtsextremismus – was es meiner Meinung nach aber leider auch nicht besser macht und gerade dazu führen sollte, dass man in einer Demokratie als Einheit dagegen auftritt. Weiterhin sind Ostdeutsche weder pauschal faul noch inkompetent. Oschmann führt hierzu das Problem an, dass in der DDR ein Verbot zur Kapitalbildung bestand, das heißt, es gibt damals wie heute kein Kapital zum Eigentumserwerb und zum Vererben an sich. Durch niedrige Löhne kommt es zum brain drain (Abwanderung junger, gut ausgebildeter Personen in den Westen), was in einer Abwärtsspirale mündet. „Jeder kann sich ausrechnen, was solche Unterschiede in der Lebensrealität ausmachen, wie enorm die Chancen divergieren und wie sich das in Kindern und Kindeskindern, beispielsweise in den Ausbildungsmöglichkeiten, fortsetzt.“

Es entsteht folglich eine große Schere zwischen Reich und Arm, was den Graben zwischen West und Ost noch vertieft.

Eine radikale „Des-Identifizierung“ 

Dirk Oschmann schreibt sich in Der Osten: eine westdeutsche Erfindung mit viel Wut seinen Frust von der Seele. Er will sich radikal „Des-Identifizieren“ von den Vorurteilen und Attribuierungen, die Ostdeutschland von der westdeutschen Medienwelt und Politik aufgedrückt bekommt. Sein Stil ist hierbei direkt und bissig, was jedoch der Aussagekraft seines Sachbuchs keinen Abbruch tut, denn oftmals trifft er genau ins Schwarze. Einzig seine doch privilegierte (und männliche) Sichtweise stört teilweise; so sind meiner Erfahrung nach nicht nur cis-männliche Ostdeutsche von einer solchen Diffamierung betroffen.

Wächst wirklich zusammen, was zusammengehört? Man hofft es zwar, aber man weiß es nicht. Oschmann befeuert die West-Ost-Debatte mit einer neuen Wut, mit neuen Argumenten. Wieder spricht er Menschen aus der Seele, andere kritisieren ihn dafür. Eines war jedoch schon etliche Publikationen zum Thema vorher klar: Die Vorurteile der letzten 30 Jahre müssen sich mit dem Zusammenschluss zur Einheit beidseitig (!) endlich mal verwachsen, sonst kommen wir als Gesellschaft nie weiter.

von Celine Buschbeck

Dirk Oschmann
Der Osten: eine westdeutsche Erfindung
Ullstein Hardcover 2023
224 Seiten
19,99 Euro

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