Das Herz zweier Städte
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Der Gang zur Guillotine, dann ein schneidendes Geräusch. Vom Anfang bis zum Ende der Uraufführung von A Tale of Two Cities werden turbulente Schicksale aufgezeigt, welche über die Französische Revolution hinweg das Leben in Paris und London verändern. Eins steht von Beginn an fest: Es werden Köpfe rollen. Das Musical von Paul Graham Brown nach dem gleichnamigen Roman von Charles Dickens nimmt unter der Idee von Reinhardt Friese revolutionäre Züge an. Die Premiere am Freitag, den 27. Oktober 2023, erzählte im Großen Haus historisch eine Geschichte voller Unterdrückung und Gewalt, von Aristokratie und Bürgertum, von schwerwiegendem Trauma und der Aufopferung für die Familie und die Liebe.
Frankreich, 1775: Dr. Manette wird aus der Haft in der Bastille entlassen. Als seine Tochter Lucie, die er nie kennengelernt hat, davon erfährt, reist sie nach Paris, um ihn zu sich zu holen. Nicht wissend, dass die Gefangenschaft tiefe Wunden hinterlassen hat und er sich nicht an sein Leben außerhalb der Gefängnismauern erinnern kann. Yngve Gasoy-Romdal verkörpert die psychischen Nachwirkungen mit betrübender Entschlossenheit, aus denen die Figur sich nur schwerlich eigenständig befreien kann.
Suspendierung des Adelsstandes
Zurück in London steht Lucie (Birgit Reutter) vor richterlicher Gewalt. Nach der Befragung und Freisprechung des französischen Emigranten und Aristokraten Charles Darnay (Stefan Reil) verlieben sich die beiden ineinander, wobei auch der gescheiterte Charakter Sydney Carton (Jannik Harneit) eine unterschwellige Liebe für Lucie hegt. Das Leben geht daraufhin im englischen Exil gleichförmig weiter. Es wird Hochzeit gefeiert und ein Kind wird geboren.
Der Kontrast dazu: Die Pariser Weinhändler und Anhänger der Revolution, Monsieur und Madame Defarge, lüften vergrabene Geheimnisse, die das privilegierte Leben der Aristokratie aus den Angeln heben. Das Ganze gipfelt im Sturm auf die Bastille und dem Beginn der Französischen Revolution, was die Familie Manette/Darnay auseinanderzureißen droht.
Nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten – denn der historische Stoff ist dicht gewebt – folgen starke Szenen- und Ortswechsel, bei denen digitale Einblenden Hilfe leisten. Verschiedene Seiten und verschiedene Länder, oben und unten: Die abstrakte Lösung des Bühnenbildes kontrastiert die beiden Städte effizient miteinander, wobei die integrierte Drehscheibe die Handlungssprünge harmonisch verfließen lässt. Zusammen mit treffendem, farblich patriotischem Lichteinsatz sowie dem Spiel mit Licht und Schatten zeigen sich die Kontraste der unterschiedlichen Milieus auf. Während andere Charaktere, vor allem die französischen Bürger*innen, als dynamische Kraft (auch in todbringender Hinsicht) auftreten, handeln die Hauptcharaktere passiver, zurückhaltender.
Liberté, Égalité, Fraternité
Die Geschichte wird getragen vom präzisen Spiel der Hofer Symphoniker, die unter der musikalischen Leitung von Michael Falk Lucia Birzers Orchesterarrangement umsetzen. Durch die Musik wird Spannung aufgebaut und die jeweilige Stimmung der Handlung eingefangen. Ein wiederkehrendes Element ist das Geräusch der Guillotine, das regelmäßig Unheil verheißt und bewirkt, dass die Zuschauer*innen konzentriert bei der Sache bleiben. Die großartige Musik begleitet sehr starke Soli der Darsteller*innen, in denen diese die Handlung weitererzählen und mit der Kraft ihrer Stimmen ihren jeweiligen Standpunkt untermauern. Die aufgeladene Stimmung des Volkes transportiert der Opernchor des Theaters Hof. In der Umsetzung der musikalischen Anteile des Stücks wird insbesondere der professionelle Rahmen der Inszenierung deutlich.
Auf Handlungsebene passiert so viel in kürzester Zeit, dass keine Gelegenheit bleibt, der Musik nachzuspüren oder in den Stimmungen zu verweilen. Wobei die musikalische Rahmung A Tale of Two Cities trotz der Aufführungsdauer von 2 Stunden und 25 Minuten kurzweilig erscheinen lässt und den Inhalt ins Rampenlicht rückt. Durch Zeitsprünge, Rückblicke und die kreative Verschmelzung beim Verlesen von Briefen erhält das Publikum viele Informationen und darf sich über kleine Details freuen, die diesem Theatererlebnis seine feinen Nuancen verleihen. Die Figuren bleiben durch die beeindruckende Professionalität des Musicals unnahbar; der glatte Schnitt der Guillotine versinnbildlicht die scharfen, klaren Kanten im Stück.
Die Unterschiede zwischen Frankreich und Großbritannien zeigen sich auch in den Kostümen: Während Lucie Manettes Familie in London feine Kleider und Anzüge trägt, tritt das Pariser Bürgertum in praktischen, einfachen Kleidungsstücken auf, die von den patriotischen Farben blau, weiß und rot dominiert werden. Dabei fällt auf französischer Seite zum Ende des Stücks hin vor allem die blumenartige Kokarde auf, die die Mitglieder der Bürgerbewegung schmückt und die Unterstützung der Revolution ausdrückt. Die historischen Kostüme sind ein wesentlicher Faktor, dank dem sich das Publikum ins 18. Jahrhundert versetzen kann.
Letzten Endes blieb das Publikum begeistert und bestens unterhalten zurück und belohnte das Ensemble mit Standing Ovations.
Weitere Termine: 04.11., 08.11., (16.11. im Rosenthal-Theater Selb), 18.11., 19.11., 25.11., 26.11. sowie 01.12.2023.
von Paula Heidenfelder und Theresia Seisenberger