Rabia Doğan – Staying was the Hardest Part
Rabia Doğan – Staying was the Hardest Part

Rabia Doğan – Staying was the Hardest Part

Kaputte Wattewelt

Content-Warnung: Verlust und möglicher Tod von Familienmitgliedern, Posttraumatische Belastungsstörung und Umgang mit Traumata, Panikattacken, Mutismus, Depression, Leistungsdruck, Flucht und Umgang mit geflüchteten Menschen in Deutschland, Krieg (hier vor allem der syrische Bürgerkrieg), Erwähnung von Waffen und Bomben, Verlust des Gehörs durch Bombeneinschlag, Rassismus und direkte Rassismuserfahrung, Erwähnung eines Autounfalls mit Todesfolge im Kindesalter

„Ich bin anscheinend die Einzige in der Familie, die ein Problem mit Sprachen hat. Oder dem Sprechen. Wie man es nimmt.“ Seit fünf Jahren ist Evrens Bruder verschwunden – seit fünf Jahren ist Evren in Schweigen verfallen. Ärzte diagnostizieren ihr Mutismus, was ihren Wunsch Medizin zu studieren noch weiter in die Ferne rückt, als es ihre familiäre Situation ohnehin schon tut. Talhah trägt eine Geschichte von Flucht und Verlust mit sich, wobei er trotzdem der Sunshine des Romans ist, dem Evren nach Anfangsschwierigkeiten immer mehr ihr Herz öffnet. Staying was the Hardest Part, Band eins der Hardest Part-Trilogie, ist ein intensives, bedeutungsvolles sowie wunderschönes Leseerlebnis, bei dem sich tiefe Gefühle entwickeln. Rabia Doğan schreibt Evren- und Talhah-Kapitel, in denen die Leser*innen mit den Figuren mitfühlen und in denen die sanfte Intensität aus den Seiten in die Herzen der Lesenden übergeht.

„Reden hat keinen Sinn mehr ergeben. Warum auch? Es hat meine Probleme nicht gelöst.“

Evren arbeitet in einer Universitätsbibliothek, dort muss sie nicht reden und verdient Geld, um ihre Familie zu unterstützen. Ihr Zuhause im Berliner Wedding ist renovierungsbedürftig, Zahlungsschwierigkeiten sind allerdings schon von klein auf Teil ihres Lebens. Freund*innen  verschwanden aus dem Leben der Protagonistin, als sie ihre Stimme verlor, weshalb sich ihr Alleinsein weiter verstärkt hat. In ihrem Alltag korrelieren ständig Höhen und Tiefen miteinander. Doch dann taucht Talhah immer wieder vor ihr auf, den sie anfänglich noch zu vermeiden versucht. Evren ist eine zuverlässige und beobachtende Hauptfigur, die viel denkt und fühlt, was sie allerdings nicht mit anderen teilt, sondern immer mit sich selbst ausmacht. Auch die Erinnerungen an ihren Bruder und die unterdrückten Gefühle und Meinungen trägt sie mit sich herum. Zufällige – und weniger zufällige – Begegnungen mit Talhah machen sie dennoch bald neugierig. Mit ihm zusammen sammelt sie neue Eindrücke von Berlin und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Sie offenbaren sich gegenseitig Gedanken und Geschichten ihrer Vergangenheit, die sie sonst verschlossen halten. In den Kapiteln des Protagonisten bekommen die Lesenden Einblicke der Flucht aus Syrien, in die Unterkünfte, auf dem Weg in eine hoffentlich sichere Zukunft, in die Schule in Deutschland. Wie er versucht hat, sich anzupassen und seine Kultur deshalb eine Zeit lang mit Füßen trat. Die Zeit, die Evren und Talhah miteinander verbringen ist für beide kostbar und bedeutend. Er gibt ihr die Sicherheit, die sie braucht, um ihre Angst und ihre Furcht zu überwinden. Sie ist für ihn schwerer zu lesen, was ihn jedoch nicht davon abbringt, ihr ruhig und ohne zu drängen zuzuhören.

„Hoffnung ist der Antrieb, der es uns erlaubt, einen Schritt nach dem anderen zu machen, auch wenn wir nichts lieber wollen, als aufzugeben.“

Innere Monologe von Evren sind mit Details, Selbstzweifel und Selbstreflexion gefüllt, sodass die Lesenden direkt in ihren Kopf, ihre subjektiven Gedanken und Schuldgefühle eintauchen. In Staying was the Hardest Part ist der Beziehungsaufbau zwischen den Protagonist*innen sehr angenehm, da nichts überstürzt oder erzwungen ist. Ihre Verbundenheit ohne Worte ist romantisch tief, kleine Gesten bedeuten viel und die gegenseitige Anziehung ist greifbar, jedoch sanft im Austausch und Aufeinandertreffen. Sprache spielt eine zentrale Rolle, wenn es um das Schweigen Evrens geht, um die Kommunikation in den Familien oder auch bei der Kapitelnummerierung. Sowohl die Selbstfindung innerhalb des Werkes, die die Lesenden ergreift, als auch die Selbstreflexion außerhalb der Worte vermitteln so viel mehr als eine Slow-Burn-Romance allein.

von Paula Heidenfelder

Rabia Doğan
Staying was the Hardest Part (Hardest Part 1)
Carlsen 2023
384 Seiten
14,00 Euro

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