„Ich glaub‘, hier ist was ganz schlimm nicht in Ordnung.“
—
Einen wieder einmal interessanten und außergewöhnlichen Spielort wählte das Theater im Gärtnerviertel mit dem Autohaus Auto-Scholz für seine Premiere des Stücks „Perplex“ am 25. Januar. Zwischen Gummireifen und Neuwagen und auf einer minimalistischen Bühne fand ein rasantes Getümmel statt, das in gleichem Maße Humor und Gesellschaftskritik in sich vereinte.
Perplex: verschlungen, verflochten, verwirrend – der Name des Stücks ist hier Programm und versetzt die Zuschauer*innen in genau diesen Zustand. Los geht’s mit einer relativ alltäglichen Szene. Stephan (Stephan Bach) und Heidi (Heidi Lehnert) kehren aus dem Urlaub zurück und kommen in ihrer Wohnung an. Doch das traute Heim birgt seltsame Verschiebungen, denn das befreundete Paar, Benny (Benjamin Bochmann) und Ursel (Ursula Gumbsch), das eigentlich nur die Blumen gießen sollte, beansprucht plötzlich die Wohnung für sich. Und damit nimmt die erste vieler szenischer Verflechtungen ihren Lauf. Das 4-Personen-Stück hat keine festgelegten Charaktere, sondern ist vielmehr ein Spiel der Rollenverteilung und -verschiebung. Wechselnde Partnerschaften und -konzepte sowie der Sprung zwischen Altersstufen überraschen das Publikum in jeder Szene aufs Neue. Hier werden „bürgerlich vorgestanzte Modelle“ mit Witz und Tiefgang systematisch karikiert.
„Deine Verkleidung hat so gar nichts schillernd Ambivalentes.“
Der fließende Rollenwechsel der vier Figuren zeigt sich vor allem durch die sich verändernden Kostüme. Von der kindlichen Judopersona über einen ausbrechenden Vulkan und einen liebeshungrigen Skifahrer bis hin zu einer nervösen Theaterintendantin bietet das Stück ein unvorhersehbares Wechselspiel der äußeren Erscheinung. Diese wird durch die außergewöhnliche schauspielerische Leistung komplettiert. Besonders begeisternd war die feingearbeitete Mimik und die hohe Flexibilität der Schauspieler*innen, die so viele unterschiedliche Charaktere verkörpern. Die Bühne nimmt nicht nur durch die lokalen Gegebenheiten des Autohauses eine bedeutende Rolle ein, das in das Stück eingebunden wurde: Durch eine schrittweise Demontierung der ohnehin schon minimalistischen Kulisse, werden Grenzen des klassischen Theaters gebrochen und aufgelöst.
„Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt gar keine Regie.“
Was als typisches Theaterstück begann, wird immer mehr zu einer selbstreflexiven Darstellung, die sich im Verlauf dekonstruiert. Die „heilige“ vierte Wand wird nicht nur im Dialog thematisiert, sondern auch von den Figuren durchbrochen. Dabei werden Themen der Gesellschaftskritik, Philosophie und Naturwissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes an die Zuschauer*innen herangetragen – und die Frage nach dem Schein und Sein bekommt plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Was bleibt am Ende? Diese Frage muss jede*r für sich selbst beantworten. Schlussendlich besteht ein überwältigender Eindruck: ein vollkommen begeistertes Publikum, das mit langanhaltendem Applaus die Schauspieler*innen würdigt.
Die nächsten Aufführungen finden am 27.01., 02.02., 03.02., 08.02., 09.02., 16.02., 17.02., 22.02., 23.02. sowie am 28.02. und 29.02. statt. Weitere Informationen zu den Spielzeiten findet ihr auf der Website des TiG. https://tig-bamberg.de/termine/
von Judith Heruc und Lea Griesbach
© Werner Lorenz
Von links nach rechts: Heidi Lehnert, Benjamin Bochmann, Stephan Bach, Ursula Gumbsch
© Werner Lorenz
Von links nach rechts: Stephan Bach, Ursula Gumbsch, Heidi Lehnert, Benjamin Bochmann