Adriano Sack – Noto
Adriano Sack – Noto

Adriano Sack – Noto

„Je nach Fahrtrichtung der Fähre ist Sizilien schon zum Greifen nah, oder man spürt sein Locken noch im Nacken; der Schmerz beim Abschied und bei der Ankunft ist jedoch genau gleich groß.“

Adriano Sack erzählt in Noto, seinem Debütroman, eine Geschichte über Liebe und Freundschaft; über Trauer, Verarbeitung und dem Finden der eigenen Zukunft. Diese Erzählung ist verwoben in einem Porträt Siziliens – in all seinem „Elend und [seiner] Pracht“.

Konrad reist, als sein Partner Adriano stirbt, mit einem Teil dessen Asche nach Sizilien. Zurück zu einem Haus, das sich die beiden als Zuflucht auf der Suche nach Heimat dort gebaut haben. Konrad will flüchten vor der unbekannten Zukunft ohne Adriano, will sich an die gemeinsame Zeit erinnern und für sich Abschied nehmen. Wie ist mit einem solchen Verlust umzugehen? Wie ist eine Verarbeitung möglich? Wie ein Weitermachen? „Endgültig war Adrianos Tod. Und ich glaube nicht, dass ich unsere gemeinsamen Träume allein weiterleben kann.“ – Ist das Haus also, als ein solcher gemeinsamer Traum, zu verkaufen? Wie und wann schafft und erlaubt man es sich selbst, wieder Zuneigung anderer Männer zuzulassen? Wohin mit all der Liebe, die mit diesem „jämmerliche[n], unheroische[n], sinnlose[n], einsamen[n] Tod“ ja nicht einfach weg ist, sondern durch das Vermissen umso schmerzhafter emporflammt?

Im Laufe des Romans kristallisiert sich für Konrad wie für die Lesenden heraus, ob es eine Reise des Abschieds von Sizilien und dem früheren Leben wird oder eine Heimkehr. Als Leser*in begleitet man Konrad dabei, wie er versucht, seinen Weg des Erinnerns, der Trauer und des Verarbeitens hin zu seiner Zukunft zu finden.
Immer wieder wird der Text unterbrochen von Passagen, in denen Adriano zu Konrad spricht und ihn auch auf diesem Weg begleitet. Die tiefe Liebe und das Verständnis für eine andere Person, das nur durch eine jahrelange Verbindung zustande kommen kann, fängt Sack unfassbar berührend ein.

„Adriano war der Mann meines Lebens. Und in der Vergangenheit über ihn zu schreiben, kommt mir unwirklich vor und wie Verrat.“

Konrad und Adriano führten eine Beziehung, die Distanzen überdauerte. Ein gemeinsames Leben mit getrenntem Alltag zwischen Berlin, Rom und Sizilien – aus beruflichen Gründen aber auch zur Selbstverwirklichung des Einzelnen. Eine Partnerschaft, in der die Individuen bestehen dürfen. Die Selbstverständlichkeit dessen sowie die tiefe Verbundenheit, die (trotzdem) zwischen dem Paar spürbar ist, zeigen nachdrücklich, dass die Ausgestaltung von Liebe und Beziehung einzig und allein für die Beteiligten passend sein muss.

Auf Konrads Reise zu seiner Zukunft wird er mitunter von seiner besten Freundin Jenny und ihrer Familie sowie Santi, dem Mitbewohner Adrianos, begleitet. Der Autor versteht es in eine Geschichte über Liebe, zu Sizilien und einem verstorbenen Partner, Freundschaft und Begegnung als die Essenz Allens einzuweben. Der Rückhalt, den Konrad in seinen Freundschaften erfährt, stärkt ihn und gibt ihm Kraft. Darüber hinaus illustriert Sack wie wichtig Begegnungen mit Menschen, seien sie auch noch so kurz, für die eigene Entwicklung sein können.

„[…] der Selbstbetrug, zu dem Sizilien uns einlädt; für den wir uns Sizilien ausgesucht haben.“

Sizilien ist, neben Adriano, als zweite Liebe des Romans zu klassifizieren. Der Autor lässt die Mittelmeerinsel in all ihrer Schönheit aufleuchten, zeigt aber auch ihre Schattenseiten. Korruption und Umweltverschmutzung gehören genauso dazu wie die atemberaubende Landschaft und Marktverkäufer, die zwar Loyalität einfordern, aber dafür sagen: „Du gehörst zu mir.“ Trotzdem kann man nach der Lektüre nicht anders und will sofort selbst nach Sizilien reisen. Konrad, Jenny und ihre Partner gehören zu den deutschen Expats, die in der privilegierten Position sind, sich eine Sommerresidenz auf „eine[r] Insel der Lügen und Illusionen“ errichten zu können, auf der Suche nach einem Paradies, das es gar nicht gibt. Sack ordnet das in der Stimme Adrianos passend ein: „Wir gehören auch zu den Zerstörern. […] Wir träumen von einem Sizilien, vor dem die Sizilianer fliehen. Wir sind die Schlimmsten von allen: Eroberer eines Landes, das es nicht mehr gibt; Kolonialisten, die geliebt werden wollen.“

Character-driven, ohne an Plot einzubüßen

Sacks Erzählung ist unfassbar reich an Charakteren. Nebencharaktere ist als Beschreibung deshalb schon unzulänglich, da sowohl der innere Kreis, die Found Family, als auch Personen, die nur für eine oder wenige Begegnungen relevant sind, so eindrücklich beschrieben werden, dass man von dieser Fülle an nuancierten Personen ganz eingenommen wird. In wenigen Fällen, wie einem Intermezzo mit Gwyneth Paltrow, fällt die Wahl der Charaktere zugespitzt aus und wirkt dadurch etwas übertrieben. Positiv hervorzuheben ist, dass die drei Kinder in der Geschichte nicht nur als comic relief o.Ä. stilisiert werden, sondern die gleiche Relevanz und Aufmerksamkeit erfahren wie die anderen Figuren. Es ist bewundernswert, wie es der Autor schafft, in wenigen Zeilen Personen so treffend zu beschreiben, dass man ein wahrhaft lebhaftes Bild vor Augen hat.

Adriano Sack beweist in Noto, dass er Prosa absolut beherrscht. Die Sprache ist sensibel, aber genau; die Bilder aus Worten wunderschön, aber ungeschönt. Der Ton sowie die Geschichte sind berührend und haben beim Lesen das Potential nachhaltig das eigene Denken über Sizilien und die Liebe zu beeinflussen. Für ein einfühlsames Porträt von Beziehungen, des Verlusts und der Verarbeitung, für ein differenziertes Bild Siziliens und für einen ergreifenden Stil der Erzählung ist Noto von Adriano Sack zu empfehlen!

von Michaela Minder

Adriano Sack
Noto
Nagel und Kimche 2024
336 Seiten
24,00 Euro

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