Wirkmächtige Symbole und einfühlsame Notizen
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Dreizehn Jahre lang hat Kate Zambreno an dem Buch über ihre Mutter geschrieben –beziehungsweise, so schreibt sie in Mutter (Ein Gemurmel), versprach sie ihr jedes Buch, sogar ihr ganzes Schreiben, zu widmen. „Sie ist es, die ich ausstoßen muss aus meinem Körper. Auferstehen lassen muss.“ In einer Art Tagebuch, in dem die Autorin auch Geschichten von anderen berühmten Künstler*innen, Philosoph*innen und Schriftsteller*innen einfließen lässt (oft mit Mutterbezug), versucht sie, genau diesen Spagat zu schaffen: ein Leben zu huldigen, ohne seine Schattenseiten auszusparen.
„meine Mutter meine Todfeindin meine erste Liebe“
Die bruchstückhafte Sammlung von Erinnerungen, Erlebnissen und Gedanken dreht sich, wie der Titel unschwer erkennen lässt, um Zambrenos Mutter und somit auch um die gesamte Familiengeschichte sowie um Kindheit und Teenager-Zeit der Autorin. Getragen wird diese umfangreiche Reflexion durch die Jahre der Krankheit und schließlich den Tod der Mutter. Die Einträge sind mal kurz, mal länger; die Sätze, oft stichpunktartig. Zambreno durchforstet Fotoalben, das Elternhaus und ihre Erinnerung. Zwischen den manchmal sehr sachlichen Beschreibungen ihrer Entdeckungen oder den Zitaten von bekannten Persönlichkeiten aus Kunst oder Literatur finden sich immer wieder poetische Passagen:
„Zwillingshaft meine Mutter und ich. Ich führe sie auf meinem Körper auf.
Sie war wunderschön und streng. Die Krankheit gab ihr eine Art Eleganz, bevor sie sie zerstörte.
[…]
Ich trockne mir das Gesicht mit Papier, und ihr Abbild erscheint.“
Neben dem Leben ihrer Mutter ergründet sie auch das Leben von Henry Darger, einem US-amerikanischen Schriftsteller und Künstler. Zwischen den Geschichten ergibt sich eine Symmetrie, da auch sein Wesen, also das einer der Autorin unbekannten Person, manchmal genauso wenig greifbar wie das der eigenen Mutter erscheint.
Eine Inspektion, die nahegeht
Mutter (Ein Gemurmel) ist sicherlich nicht etwas für jede*n. Auch wenn mir der fragmentarische Stil generell sehr gut gefällt, fiel es mir trotzdem manchmal schwer, wieder Anschluss zu finden, nachdem ich das Buch mal für einige Zeit weggelegt hatte – vor allem in Bezug auf die Künstler*innen und Denker*innen, von deren Leben die Autorin parallel zum Leben ihrer Mutter erzählt. Generell haben mich diese Anteile des Buchs auch einiges weniger interessiert als die persönliche Familiengeschichte. Dennoch, wer einen fragmentarischen Stil mag, tagebuchartige Texte oder die Autorin an sich, für diejenigen ist das Buch klar eine Leseempfehlung. Gerade dann, wenn man selbst schon Erfahrungen mit dem Verlust einer geliebten Person oder der Pflege von Angehörigen gemacht hat, trifft es durch Zambrenos poetisches Gespür oft mitten ins Herz.
Genauso wie die Passagen, in denen sie in ihre eigene Vergangenheit, die ihrer Mutter und ihrer Familie zurückgeht, denn dabei bleibt sie schonungslos ehrlich. Diese eindrücklichen Stellen versuchen weder zu beschönigen noch zu verteufeln. Kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern eine Darstellung, die einem menschlichen Leben gerecht wird: nämlich eine ambivalente; eine, die Widersprüche unaufgelöst zulässt.
von Theresa Werheid
Kate Zambreno
Mutter (Ein Gemurmel)
Aus dem Englischen von Dorothee Elmiger
aki Verlag 2023
224 Seiten
26,00 Euro