Was Mann nicht will, dass man ihr gönnt.
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Nicole Seifert trifft mit Einige Herren sagten etwas dazu den Nerv der männlich dominierten Gruppe 47 allein schon deshalb, weil Ingeborg Bachmann diese Worte über eine Teilnahme des Literaturkreises verlor. Neben ihr und Ilse Aichinger sind weitere Frauen kaum bekannt und wurden durch die männlichen Kollegen des literarischen Kreises bewusst der Öffentlichkeit ferngehalten, schlicht verachtet. Eine Hommage an die weiblichen Akteurinnen der im Jahre 1947 hervorgerufenen Gruppe war längst überfällig und ist durch die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert endlich geschehen.
Sie spannt das Werk in Kapiteln nach Jahreszahlen und Personen auf und versieht die Titelseite jeweils mit abschätzigen Kommentaren männlicher Kollegen – vor Groteske strotzend könnte man meinen, es handle sich um Satire. Im letzten Kapitel wird ein Versuch unternommen, eine mögliche Antwort auf die Frage zu finden, was es einerseits mit den Überhöhungsfantasien, andererseits mit den Abwertungen seitens der Männer auf sich hat.
„Dich hat Hans Werner eingeladen? Hast du mit ihm geschlafen?“
Obiges Zitat zeigt lediglich das Sahnehäubchen dessen, womit die Autorinnen der Gruppe 47 anhaltend konfrontiert waren: Sexismus und Degradierung. Derart abschätzige Kommentare fielen im Rahmen der Gruppe 47 über weibliche Autorinnen wie am Fließband, die durch ihre (einstigen) Ehemänner Teil der Treffen waren, oder (mit Glück) zu den Lesungen eingeladen wurden. Als weitere Absurdität seitens Hans Werner Richters, eines der Gründungsmitglieder der Gruppe 47, wäre da die Ausladung gewisser Frauen für das 15-jährige Bestehen der Gruppe 47, anno 1962:
“Ich habe einen ganzen Stoß Ehefrauen ausgeladen, weil sie mich bei den Lesungen stören. Sie setzen sich immer ganz vorn hin und stören mich mit ihren gekreuzten Butterbeinen in meinem Halbschlaf.“
Stattdessen sollen junge, ansehnliche Frauen eingeladen werden. Diese Worte geben eine leise Idee des damaligen Habitus auf und präsentieren ungeschönt, wie es in der Gruppe 47 zuging.
Nicht selten fiel das Wort „Frauenliteratur”, das nach dem Vortrag der einzelnen Texte aus den Mündern der Herren stürzte, um ihren Unwillen oder Unfähigkeit zu verschleiern, die Texte ihrer weiblichen Kolleginnen zu entziffern. Zu erwähnen wäre hier Ruth Rehmanns Roman Illusionen, der die negativen Facetten des Kapitalismus im Gewand des Wirtschaftswunders früh erkannte und thematisierte. Das erste Kleid, erstes Kapitel des Romans, las sie erstmals 1958, neu aufgelegt wurde Illusionen im Jahr 2022. Die männlichen Anwesenden gaben ihr zu verstehen, sie sei für den Sex-Appeal anwesend, nicht als gleichberechtigte Schreibende.
Große literarische Töchter sollten als pretty Mannequins fungieren
Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert greift erfolgreich die weiblich-progressiven Stimmen der Gruppe auf und schafft zugleich einen Sinn für deren Brisanz im Literaturkanon, der ihre Daseinsberechtigung unterminierte. Hier ist Gisela Elsner zu nennen, die mit ihrem überaus scharfen Verstand eine der bedeutendsten gesellschaftskritischen Stimmen darstellt. Ihre revolutionären Veröffentlichungen thematisieren Gewalt und Macht, Sexualität und Pornografie. Für Die Riesenzwerge gewann sie 1964 den Prix Formentor. Die Autorin war an Genialität kaum zu übertreffen: Sie spielte mit Zuschreibungen wie Kleopatra, Medusa und Sphinx, mit Medien und Kritiker*innen, indem sie sich zunehmend als Kunstfigur inszenierte und sich genau deshalb die Augen dunkler umrandete und die Haare auffälliger föhnte.
Kahl geschlagene Frauenliteratur
Die von der Gruppe 47 selbsternannte „Kahlschlagliteratur“ wollte revolutionär und in völlig neuer Sprache erscheinen, die antisemitische und kriegerische Vergangenheit in Vergessenheit geraten lassen. Kahl geschlagen haben sie immerhin das weibliche Potenzial. Es waren die Frauen, die jüdische Protagonist*innen in ihren Werken schufen, die Grausamkeiten des Faschismus und deren Opfer aufzeigen – anstatt kahlzuschlagen und unter den Teppich zu kehren. Sie haben es verstanden, bisheriges reflektieren zu müssen, bevor besseres geschaffen werden kann. An dieser Stelle ist Günter Grass als Mitglied der Gruppe 47 zu erwähnen, einer der Ausnahmen, der die Texte der vergleichsweise oft viel gebildeteren Frauen begreift: „Die Frauen schreiben uns an die Wand.“
Nicole Seifert verfasste ein übersichtliches Werk, mit dem sich nur allzu gut ein Meinungsbild über die Gruppe 47, die von patriarchalen und misogynen Strukturen durchtränkt ist, gebildet werden kann. Sie stellte dabei das Schaffen der Autorinnen in den Vordergrund, untermalt mit biographischen Aspekten und politischen Hintergründen. Die Autorin kreiert ein Leseerlebnis, bei dem einem vor Kopfschütteln der Kopf schmerzen könnte. Zum Glück arbeitet sie mit ordentlich Sarkasmus, um der beim Lesen aufkommenden Wut entgegenzuwirken. Für die Gruppe 47 könnte Folgendes synekdochisch stehen, um Seifert in ihren eigenen Worten abschließend zu zitieren: „Der Niedergang der Frau, die aufbegehrt, ist die Kernerzählung der Misogynie.“
von Miriam Mösl
Nicole Seifert
Einige Herren sagten etwas dazu
Kiepenheuer & Witsch 2024
352 Seiten
24,00 Euro