„Wir Mädchen hören immer genau zu, und man weiß nie, was im Inneren von jeder von uns mit einem bloßen Wort erschüttert und uns für immer zeichnen kann.“
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CW: Geschlechtsdysphorie, Gewalt
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Endlich gibt es auch die deutsche Übersetzung Alana S. Porteros autobiographischen Debütromans La mala costumbre. Von Christiane Quandt aus dem Spanischen übersetzt, erschien Die schlechte Gewohnheit bei claassen – eine trans Geschichte, eingebettet in das soziale periphere Madrid der 80er Jahre.
„Dass man am Ende eine Frau ist, wird einem durch Vorbilder im näheren Umfeld klar, durch den Durst nach Bezugspunkten, durch den Drang, an dem Erbe teilzuhaben, das einige Frauen an andere Frauen weitergeben und das Männern gänzlich fremd bleibt.“
Portero erzählt die Geschichte der Protagonistin und vereint darin die Vielschichtigkeit eines Lebens. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel im Madrid der 80er Jahre und gezeichnet von dieser Erfahrung, findet sie zu ihrem Frausein. Portero beschreibt das Viertel als Ort der Peripherie, in dem die gesellschaftliche Kluft brutal offengelegt wird, dessen Spielplätze für Kinder „[…] auch ihre Sterbeplätze [wurden], wenn sie alt genug waren, um sich mit Heroin abzuschießen.“ Die schlechte Gewohnheit ist eine trans Geschichte, aber auch social commentary. Verschriebene Klassenzugehörigkeit, geschichtliches Erbe eines Regimes, Armut, gesellschaftliche Ausgrenzung, Sexismus und die Ablehnung des Individuums, des vermeintlich Anderen werden verhandelt. Die Darstellung der sozialen Ambivalenz des Madrider Arbeiterviertels zeigt die herrschende Gewalt und Ablehnung gegenüber einer queeren Entfaltung und gleichzeitig die Momente des Beistandes, des Zusammenhalts und der Akzeptanz. In diesen Widersprüchen bzw. parallelen Existenzen findet die Erzählerin queere Vorbilder und trans Mentorinnen, die ihre Transitionsgeschichte begleiten.
„Seit ich denken konnte und weil ich mit meinem eigenen Doppelleben sowieso lernen musste, in zwei Realitäten parallel zurechtzukommen, verpflanzte ich die Frauen in meiner Umgebung in Fantasiewelten, wo nichts und niemand ihnen etwas anhaben konnte.“
Die Sprache gleicht Lyrik in ihrer Ausdrucksform. Die Bilder, die Portero mit Worten zeichnet, sind nicht zwangsläufig schön, da sie auch das Unschöne und den Schmerz zeigen, aber sie sind stets eindringlich. Die Verzweiflung und die Sehnsucht danach, man selbst sein zu können, frei sein zu können, wird so ergreifend dargestellt, dass die Sätze noch nach dem Lesen in Erinnerung bleiben.
Der Ton hat mitunter etwas pathetisches, eine fast religiöse Parallele wird mehrmals gezogen, um die Dimension zwischen der Realität und der Heil versprechenden Zukunft, in der die Protagonistin als Frau leben und gelesen werden kann, zu transportieren.
„Ich lernte, dass Frauen, die so leben, wie sie wollen, und die genauso alt werden und ihre Leben und seine Spuren offen im Gesicht tragen, normalerweise mit dem Mantel des Grotesken und des Spotts bedeckt werden, weil man sie fürchtet.“
Allein sprachlich ist Die schlechte Gewohnheit eine Leistung, die Bewunderung fordert. Die Erzählung zeichnet sich zusätzlich besonders durch die Entwicklung der Protagonistin aus, durch die stählerne Kraft, die sich langsam aufbaut und nach härtesten Rückschlägen, sich schon gebrochen glaubt, um sich dennoch aufzubäumen und sich somit in die trans Memoiren einreiht, die sich nicht scheuen dem Schmerz in seiner Schwere Raum zu geben, aber das Licht darüber, das eigene Selbst zu sein, umso heller erstrahlen lassen.
von Michaela Minder
Alana S. Portero
Die schlechte Gewohnheit
Aus dem Spanischen von Christiane Quandt
claassen 2024
240 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 9783546100724