Fun, Fun, Fun…
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Fungirl von Elizabeth Pich war einer der nominierten Favoriten für den diesjährigen Max und Moritz-Preis – mit der wichtigste Preis für Comic-Kunst und graphische Literatur im deutschsprachigen Raum. Für den Sieg hat es leider nicht gereicht, aber ein Blick in das Buch lohnt sich trotzdem: Ein Comic-Sammelband über Konflikte im Privaten und in der Gesellschaft, darüber, wie wir lernen unseren eigenen Weg zu gehen und welche Rolle der Humor dabei spielt.
Mehr als nur „Fun“
Der Titel suggeriert, dass es lustig werden soll und auch, wer bisherige Beschreibungen dazu gelesen hat, erwartet vor allem eins: viel Witz. Allerdings in einem ganz spezifischen Sinne. Es sind Slapstick, viel Grotesque, ja zynische Geschmacklosigkeit, die einem versprochen werden. Das Versprechen wird mehr als gehalten, Betonung liegt auf mehr. Denn auch wenn diese Art des Humors nichts für jedermann ist, darf nicht über dessen bedeutende Funktion hinweggetäuscht werden, nämlich die der Kritik. Und das schafft Pich richtig gut. Eingehüllt in die zugespitzten Absurditäten der Situationskomik werden äußerst komplexe und gesellschaftlich relevante Themen wie Sexismus, Rassismus und Klassismus angesprochen. Das Absurde, Komische daran schafft Distanz und damit eine Basis zur Reflexion. Die eigentliche Problematik wird somit zu einem äußeren, anschaulichen Objekt und die Umwandlung des Ernsten ins Komische macht deutlich, dass nicht alles so bleiben muss, wie es bisher immer war. Der Humor zeigt, wie alte Strukturen durchbrochen werden können.
Das Alte neu denken – Subversion und Referenzialität in Fungirl
Wie kann man sich dieses Durchbrechen konkret vorstellen? Mitunter geschieht es sehr subtil und nur, wer entsprechendes Kontextwissen hat, wird es bemerken. Der Sammelband besteht primär aus einer Aneinanderreihung von Alltagssituationen der Hauptcharaktere Fungirl, Becky und ihrem Freund Peter. Jedes Kapitel, wenn man es so nennen möchte, wird mit einem Bild abgeschlossen, welches auf alte Klassiker der bildenden Kunst verweist, diese aber mit einem Quantum Ironie in den Stil des Comics manövriert, wie etwa das Bild „Judith und Holofernes“ von Caravaggio (oder auch Gentileschi). Ebenso werden bestimmte Genres der Comickultur, wie der Action- bzw. Superheldencomic, parodiert, indem alte Motive und Rollenverteilungen umgestellt werden. Der Typ, der Tiere heimlich präpariert und sammelt, ist kein Psychopath und potenzieller Bösewicht, sondern ein einfacher Bestatter, der sich manchmal etwas einsam fühlt. Statt mit Superwaffen und Muskelkraft werden fiese Kerle mit Menstruationsblut bekämpft, denn alle Männer fürchten sich davor – außer Peter. Mit Peter tritt eine erfrischende Figur auf: eine so selten vorhandene Männlichkeit, die nicht aus Egozentrismus und Zerstörungswut besteht. Er bringt jedes Mal frisches Gemüse heim, kocht, ist Grund-, oder Vorschullehrer, sorgt sich um die Umwelt und die Personen um sich herum, manchmal bis zur Selbstvergessenheit. Anders ist es bei den weiblich gelesenen Figuren. Fungirl behauptet von sich, viel unpersönlichen Sex zu haben und erscheint insgesamt ziemlich ich-bezogen und triebhaft. Ihre Mitbewohnerin und Expartnerin Becky unterliegt der kapitalistischen Ellenbogenhaltung, mitunter aufgrund eigener Diskriminierungserfahrungen, und missachtet die Fürsorglichkeit, die andere Menschen ihr entgegenbringen. Es werden Frauenfiguren gezeigt, die sich subversiv Männern vorbehaltene Eigenschaften und Rollenbilder aneignen, sei es bewusst aus einer Kritik heraus oder unterbewusst durch eigene Internalisierung patriarchaler Strukturen und Mentalitäten. Doch Obacht! Beide Seiten, sowohl das Ego-Karriere-Gehabe als auch das Caring-Verhalten Peters werden so überzeichnet, (mitunter im wahrsten Sinne des Wortes), dass es wohl kaum um eine Reproduktion des Alten im neuen Gewand geht. Stattdessen zeigt es, dass sie einfach zum Totlachen sind, diese Geschlechterrollen.
Den eigenen Weg gehen
Und schließlich schaden sie allen. Durch die Rollenverteilungen und damit verbundene Erwartungen entstehen Konflikte, die sich im weiteren Verlauf des Sammelbandes immer mehr verhärten. Aber keine Angst: Ein tragisches Ende würde zu einer Comicreihe, die sich dem Humor verschrieben hat, nicht ganz passen. Die Lesenden begleiten die Figuren dabei, wie sie in der Auseinandersetzung mit vorgegebenen Mustern und Spannungen lernen ihren eigenen, persönlichen Weg zu gehen, ein Konglomerat aus Prägung und Eigensinn, und ja, auch aus etwas Banalität und Absurdität. Eine grandiose Selbsterkenntnis.
von Jean Müller

Elizabeth Pich
Fungirl
Aus dem Englischen von Christoph Schuler
Edition Moderne 2024
256 Seiten
26,00 Euro
ISBN: 978-3-03731-263-6

