Klaus Mann – Spiegel seiner Zeit
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Journalist Thomas Medicus hat sich Klaus Mann biographisch angenähert, sich den Schriftsteller als „Symbolfigur“ seiner Zeit vorgenommen, sein Werk und Leben einer Neubetrachtung unterzogen. Nur zu überzeugen vermag er mit Klaus Mann – Ein Leben leider nicht. Was immerhin gelingt: Medicus zeichnet detailliert und basierend auf intensiven Recherchen das in all seiner Widersprüchlichkeit und psychologischen Komplexität schwer zu greifende Leben Klaus Manns umfassend nach: von der Münchner Kindheit, den Schuljahren und ersten Exzessen über die Flucht in die Emigration, das Ringen um Selbstständigkeit, die Beteiligung am Krieg als Soldat der US Army bis hin zum herbeigesehnten Freitod 1949 in Cannes.
Biografie mit Schwächen
Woran scheitert Medicus dann, wenn er das Leben des Schriftstellers doch so präzise und fundiert verfolgt? „Er [Klaus Mann] sehnte sich nach väterlicher Anerkennung“, schreibt der Biograf etwa. Ein allzu menschliches Bedürfnis – möchte man meinen. Doch Medicus fragt zynisch (und völlig überflüssig): „Aber bekommt man dergleichen je in ausreichendem Maße?“ Nicht Thomas Mann, sondern er, der allzu empfindsame Klaus mit seinen überhöhten Erwartungen, erscheint plötzlich als das Problem der vermurksten Vater-Sohn-Beziehung. Dabei ist die Antwort doch eindeutig Ja! Ist der Nobelpreisträger auch nicht in der Lage gewesen, die so nachvollziehbaren Wünsche seines sensiblen Sohnes zu befriedigen, so gibt es sie doch, die Väter, die ihren Kindern „in ausreichendem Maße“ Anerkennung zollen. Statt seine Gefühle mit rhetorischen Fragen zu übergehen, ist also ganz unbedingt mit Klaus Mann zu sympathisieren.
Auch in seiner Analyse zu Thomas Manns Novelle Unordnung und frühes Leid spricht Medicus dem ältesten Mann-Sohn, der sich darin als Taugenichts und „Hanswursten“, als gänzlich talentlos verewigt sieht, sein Entsetzen und seine Enttäuschung ab, „keine Figur wird denunziert, selbst wenn Sarkasmus im Spiel ist“, meint der Journalist doch tatsächlich. Die autobiographische Novelle, „[g]eschildert […] mit großer Liebenswürdigkeit“, sei schließlich „ein Meisterwerk Thomas Manns, eine perfekte Erzählung“.
Wirklich abstrus wird es aber dann, wenn er Erika Mann beschreibt. Da heißt es: „Ein echter Kerl, diese Erika, sie gab den Takt vor.“ Wieso Medicus den taffen, selbstbewussten und selbstbestimmten Charakter Erika Manns nicht mit ihrer Weiblichkeit in Einklang bringen kann, das ist schlicht ein Rätsel. Daraufhin fragt er sich: „Und Klaus?“ Ja, was kann man dieser so lobenswert männlichen Erika nun entgegensetzen? Thomas Medicus entscheidet sich für Klaus Manns bedauernswerten Schuldenberg. Na dann. Es sind Unstimmigkeiten wie diese, die, verstreut über den Text, immer wieder für Kopfschütteln sorgen.
Nicht gänzlich geglückt
Anzurechnen ist es Thomas Medicus durchaus, dass er sich dem Ästheten und Dandy, dem Todessehnsüchtigen und Antifaschisten, dem Schriftsteller und Soldaten, dem Sohn und Bruder gestützt auf Tagebucheinträgen, Briefen und dem literarischen Werk so umfangreich und inhaltlich differenziert angenommen hat. Auch das Porträt Klaus Manns als – trotz Drogensucht und immerwährender Suizidalität – äußerst produktive und engagierte „Symbolfigur“ ist angemessen. Dass dessen Denkmal in Gänze nun aber kleiner ausfällt als erwartet, dabei sprachlich so nüchtern, zuweilen sogar fragwürdig daherkommt, ist schade und wird dem leidenschaftlichen und klugen Mann nicht gerecht.
von Luisa Bader
Thomas Medicus
Klaus Mann – Ein Leben
Rowohlt 2024
544 Seiten
28,00 Euro
ISBN 978-3-7371-0154-7