Zwischen Intimität und Distanz
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CW: Transfeindlichkeit
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In dem Filmdrama Close to You wird erkundet, was es bedeutet, ein*e Außenseiter*in in der Familie zu sein, und wie wichtig es ist, seinen eigenen Weg zu gehen.
Close to You ist ein Film über den trans* Mann Sam (Elliot Page), der nach 4 Jahren in Toronto zum ersten Mal wieder in die Kleinstadt Cobourg fährt. Dort will er anlässlich des Geburtstags seines Vaters seine Familie besuchen. In seinem Elternhaus angekommen, löst das Erscheinen von Sam nicht nur in ihm, sondern auch in seiner Familie – einschließlich dem neuen konservativem Schwager – gute sowie schlechte Emotionen aus. Seine persönliche Transition als spaltendes Thema ist dabei allgegenwärtig und während die einen den Absprung von der Toleranz zur Akzeptanz schaffen, erreichen andere dies nicht.
Sam begegnet in Cobourg nicht nur seiner Familie, sondern auch Katherine (Hillary Baack), einer alten (und nun verheirateten) Bekannten. Dieses Widersehen löst zusätzlich viele komplexe Gefühle in ihm aus. Denn was ist, wenn man noch immer sehr stark für jemanden empfindet, den man seit Jahren nicht gesehen hat?
„Rising above it is getting the fuck out of here.“
Schlagfertig und clever, aber auch enttäuscht und irritiert begegnet Sam transphoben Äußerungen. Aber er trifft auch auf Liebe, Hass, Ablehnung und Versöhnung. In nur wenigen Tagen ergeben sich in seiner alten Heimat mehrere wichtige Gespräche. Aber Sam lernt in dieser Zeit ebenso, dass auch er immer noch wachsen und sein eigenes Ich neu entdecken kann.
Obwohl viele Szenen dialoggesteuert sind, ist der Film an keiner Stelle langatmig, da er vielen Zuschauer*innen (ob queer oder Ally) mit facettenreichen Figuren Identifikationspotenzial bietet. Zudem werden universelle Probleme angesprochen, wie das „schwarze Schaf“ in der Familie zu sein, nicht den Erwartungen entsprechen zu können oder zu wollen und was passiert, wenn das eigene Schicksal nicht (mehr) mit dem Leben übereinstimmt, das man seit Jahren führt.
Die Geschichte löst dabei nicht nur in Sam, sondern auch in allen Besucher*innen im Kino Emotionen aus. Durch die rohen Nahaufnahmen, den sich Zeit nehmenden Szenen, die den Charakteren sowie Zuschauer*innen Raum zum Verarbeiten geben, aber auch die hervorragende Leistung der Schauspieler*innen wird ein Zusammenspiel geschaffen, das unmittelbar und authentisch ist.
Elliot Page verrät in einem Interview, dass die Gespräche größtenteils improvisiert wurden und oft keine vorgeschriebenen Dialoge im Skript standen. Was erstmal wie ein Risiko klingt, ist vielleicht das Geheimnis hinter dieser abgebildeten Echtheit.
Die Queerfilmpreview im Odeon ist immer am dritten Dienstag des Monats – und ist sehr empfehlenswert.
Von Verena Santl
Dominic Savage
Close to You
Englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Kanada, Vereinigtes Königreich 2023
100 Minuten
FSK 6