„Drag ist Protest. “
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CW: Stroboskopeffekte (schnelle Lichtblitze)
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Nach dem brillanten Erfolg von Das Vermächtnis (Teil 1 und 2) zeigt das ETA Hoffmann Theater in der Spielzeit 2024/25 nun ein weiteres Stück von Matthew Lopez: The Legend of Georgia McBride unter der Regie von Sebastian Schug.
In den Minuten vor Vorstellungsbeginn der Premiere füllt sich der Saal und es funkelt im Publikum mehr als sonst – hier ein Glitzerrock, da eine mit Pailletten besetzte Anzugweste – es ist, als ob sich der Zauber von Drag bereits über die Zuschauer*innen gelegt hat. Dieser Zauber wird die gesamte Bühne einnehmen und das Publikum so in seinen Bann ziehen, dass wiederholter Szenenapplaus, ein Mitfeiern der Tanzeinlagen und tosender Beifall mit stehenden Ovationen das Stück rahmen.
Casey (gespielt von Leon Tölle) sucht im Cleo’s, einer scheiternden Bar in Florida, als Elvis-Imitator vergeblich nach Erfolg. Barbesitzer Eddie (Stephan Ullrich) versucht das Cleo’s zu retten und engagiert, in der Hoffnung neue Kund*innenschaft anzulocken, seinen Cousin im Drag-Act Miss Tracy Mills (Daniel Seniuk) sowie ihre Partnerin Miss Anorexia Nervosa (Jeremias Beckford). Für diese neue Show muss Caseys Elvis weichen. Doch Casey lebt für die Bühne, für das Performen, für das So-tun-als-ob. Für diesen Traum legt er einen Optimismus an den Tag, der an Illusion grenzt. Da wird beispielsweise die Miete vernachlässigt, um ein neues Kostüm zu kaufen, weil damit ganz bestimmt endlich der Durchbruch gelingen wird. Diese Zuversicht, dass alles gut wird, teilt Jo (Alina Rank), Caseys Frau, nicht. Ihre Existenzängste werden nur noch amplifiziert, denn sie ist schwanger. Casey versucht den Fuß in der Tür zu behalten und jobbt nun als Barkeeper im Cleo’s. Als Rexy ausfällt, bekommt Casey beide Füße wieder auf die Bühne – dieses Mal jedoch in High Heels und statt als Elvis nun als Georgia McBride. And the show goes on.
Daniel Seniuk hat man schon als Eric Glass in Das Vermächtnis ins Herz geschlossen – Miss Tracy Mills jedoch verfällt man komplett. Man darf es so deutlich sagen: der Star des Stücks. Als Drag-Mutter lehrt sie Georgia die Kunst des Drag, von Hüftpolstern über Lip Synching zum Selbstannahme: Georgia McBride wird zum Leben erweckt. Flirrend und wie im Sturm erobert sie die Bühne. Besonders der shade und sass von Miss Tracy Mills machen The Legend of Georgia McBride zu der herrlichen Komödie, die sie ist.
„Drag ist eine erhobene Faust in einem Pailletten-Handschuh. “
Die Inszenierung des ETA Hoffmann Theaters versteht es, das ursprünglich englische Stück, in der Übersetzung von Hannes Becker, für ein mehrheitlich lokales Publikum in Bamberg zu adaptieren. Gerade bei Drag ist die englische Sprache dominierend und generell läuft eine Übersetzung immer Gefahr, die elementaren Witze aufgrund der anderen Sprache zu verlieren. Das ist in manchen Fällen zwangsläufig nötig, da man ansonsten wiederum einen Teil des Publikums nicht mitnehmen kann, der die englischen Referenzen nicht versteht. In genau diesen Fällen beweist es sich als umso gewinnbringender, Pendants zu schaffen. So viel sei verraten: Bei der Darbietung fränkisch angehauchter Drag-Namen kann man sich vor Lachen kaum halten. Nico Zielke vervollständigt das Erlebnis mit dem Bühnenbild und schillernden Kostümen, die sich ein gegenseitiges Stechen liefern.
Matthew Lopez debütierte The Legend of Georgia McBride 2014, während Das Vermächtnis als sein nächstes Bühnenstück 2018 Premiere feierte. The Legend of Georgia McBride bietet dem Publikum Einblicke in die Drag-Welt durch Casey, einen heterosexuellen cis-Mann. Diese heteronormative Linse, mit der von außen auf Queerness geblickt wird, spiegelt vermutlich die tatsächliche Perspektive eines großen Teils des Publikums wider. Das Vermächtnis wiederum erzählt aus der Queerness heraus, ist deutlicher unapologetic und schärfer in der Kritik an Diskriminierung gegenüber LGBTQ+-Personen. Es entsteht der Eindruck, dass The Legend of Georgia McBride als Vorgänger bewusst etwas gedimmt wurde, um es für ein überwiegend heteronormatives Publikum vermeintlich zugänglicher zu machen. Umso erfreulicher ist es, dass auf The Legend of Georgia McBride Das Vermächtnis folgte. Es zeichnet das ETA Hoffmann Theater aus, dass das Ensemble zuerst Das Vermächtnis aufführte – der Erfolg spricht für sich – und in der darauffolgenden Spielzeit mit The Legend of Georgia McBride genauso erfolgreich weitermachen wird – dessen ist man sich nach dem gefallenen Vorhang sicher.
Weitere Aufführungen finden am 13.12., 14.12., 28.12., 31.12.2024, 03.01. und 04.01.2025 statt
von Michaela Minder
Bild links: Ensemble, Bild rechts: Leon Tölle
Bild links: Leon Tölle, Bild rechts (v.l.n.r.): Leon Tölle, Daniel Seniuk, Stephan Ullrich
Alle Fotos: © Martin Kaufhold