Pleasure als Widerstand
—
Nach Enjoy Schatz heiß ersehnt, erscheint mit Pleasure das neueste Buch von Jovana Reisinger. Wieder mit Essays, wieder mit scharfer Analyse und harter Ehrlichkeit, wieder mit lässigem Charme – die Autorin demonstriert erneut ihr Können und ihren authentischen Ton. Dieses Mal geht es um den Genuss. Um die Vielfältigkeit sowie –schichtigkeit davon, sei es im kleinen oder großen Stil, um Anspruch und Berechtigung, um Ressourcen und soziale Ungleichheit, um „fotzige“ Outfits, um die kulinarische Vollendung und ihre Chiffrierung sowie um die Dekadenz, das Privileg des Ausruhens.
Jovana Reisinger zieht sich an, um essen zu gehen und schläft im Anschluss ein. Die drei Säulen, anhand derer die essayartigen Kapitel thematisch durch das Buch führen. Pleasure findet sich in ihnen allen wieder. Sei es die Garderobe aus Designerkleidung, die aus finanzieller Not heraus mühevoll secondhand zusammengestellt wurde, der teure Schmuck, der sich für das unwissende Auge als billiger Modeschmuck tarnt oder die Fake-Handtasche, mit der selbstbewusst über den roten Teppich stolziert wird. Seien es Differenzen der sozialen Herkunft, die sich im Verhältnis zu Lebensmitteln und dem Schauspiel von Essen offenbaren. Oder sei es die Frage, wer es sich leisten kann, sich auszuruhen und wie wiederum Ehrgeiz an der Bereitschaft, Schlaf der Arbeit zu opfern als „Spitze des Eisbergs der Leistungsgeilheit“ gemessen wird.
„Pleasure ist immer persönliche Anspruchsgeste und zugleich politische Intervention.“
Aufhänger des Buches ist der abfällige Kommentar „Was macht eigentlich die Prostituierte auf dem Roten Teppich?“, einer Besucherin, den die Autorin über sich am Münchner Filmfest hören muss. Gekonnt entschlüsselt die Autorin, warum damit eigentlich „Was macht eigentlich das Unterschichtskind auf dem Roten Teppich?“ gemeint war. Denn wenn es um Genuss geht – das Designeroutfit, in dem man sich ablichten lässt oder dem Champagner zu frönen, der auf dem Empfang, der Verleihung, der elitären Afterparty ausgeschenkt wird, um dann zwischen die teuren Laken des Hotelbetts zu schlüpfen –, geht es immer darum, wer Anspruch darauf hat. Reisinger erklärt: „Pleasure ist nicht nur die kühne Behauptung dazuzugehören, sondern der eigenmächtige Versuch, genau das zu schaffen. Trotz der Unsicherheiten, der Widrigkeiten und der vermeintlichen Defizite. Entgegen der Scham.“ Und so erzählt Reisinger von einem Unterschichtskind, dass krampfhaft versucht die eigene Herkunft zu verschleiern, um Zugang zu bekommen, um weiterzukommen, um aufzusteigen und wie das Unterschichtskind (mit dem Erfolg in der Tasche) das Vertrauen und das Selbstbewusstsein erlangt, nun offen mit den eigenen Wurzeln umzugehen – wie es sich nicht mehr in das konservative Outfits des Bildungsbürgertums aus Rollkragen und Hornbrille zwängt, sondern mit rosafarbenen, langen, spitzen Acrylfingernägeln mit Strass besetzt, in mitunter als obszön aufgefassten Outfits die wohlverdienten Lorbeeren abholt.
Reisingers Stil ist prägnant und erfrischend. Das Zusammenspiel aus scharfer Analyse und ehrlicher Stimme verbinden Gesellschaftsbeobachtung sowie -kritik und persönliche Erzählung. Die Autorin verwendet oft pointierte Schlagwörter am Ende eines Gedankens in Klammern und unterstreicht damit gekonnt das Statement, baut Brücken für weitere Reflexionen oder schafft Bilder für eigene Assoziationen. Bei vielen Kapiteln ist es beachtlich, wie viel in ihnen steckt. Welche Themen (teilweise immer wieder auftretend, aber nie redundant) behandelt werden, auf die der Titel nicht zwangsläufig hat schließen lassen – und vor allemwie Reisinger es schafft, diese miteinander zu verbinden. Der Lesefluss bleibt organisch, man kann immer folgen und die thematische Diversität sorgt vielmehr für stetes Interesse, weil neue und mitunter unerwartete Blickwinkel beleuchtet werden, welche der beste Beweis für die Intersektionalität und Interdependenzen von Pleasure sind.
von Michaela Minder
![](https://rezensöhnchen.de/wp-content/uploads/2025/01/IMG_0109-700x1148.jpeg)
Jovana Reisinger
Pleasure
Park x ullstein 2024
320 Seiten
22,00 Euro
ISBN 9783988160140