ETA Hoffmann Theater – Baracke
ETA Hoffmann Theater – Baracke

ETA Hoffmann Theater – Baracke

„Wer bin ich dadurch? Durch dich?“

CW: Stroboskopeffekte (schnelle Lichtblitze)

Am 24. Januar 2025 feierte das ETA Hoffmann Theater Premiere für Baracke. In Rainald Goetz’ neuestem Stück werden wieder Gegen- und Zusammenspiel von Privatem und Politischem austariert. Die erste Hälfte bilden die drei Akte PARTY, LIEBE und FREUNDE. Mit Akt IV FAMILIE kommt schließlich der Bruch, in dem die zuvor gestreuten Spuren zusammenführen und die aufgebaute Spannung ihren Höhepunkt findet.

Goetz erzählt zu Beginn vom ersten Kennenlernen, von den Hoffnungen in die neue Beziehung, die Nähe zweier Menschen und von der Bedeutung einer solchen Verbindung. Bea, gespielt von Alina Rank, findet durch zwei Männer (Jeremias Beckford und Leon Tölle) zwei Beziehungsdynamiken und zwei potenzielle Versionen ihrer Zukunft. Doch auch mit einer rosaroten Brille lässt sich weaponized incompetence irgendwann erkennen und der Bad Boy in Lederjacke mit Caspar David Friedrichs Wanderer auf dem Rücken verliert seinen Reiz, wenn man sich nicht auf ihn verlassen kann. Bea, Ramin und Uwe sind mit ihren Freund*innen Teil einer „Jugend ohne Staat“. Die Radikalisierung beginnt, aber Nachwuchs für Bea und Uwe setzt dem ein vermeintliches Ende. Krölpa weicht dem Dresdner Villenviertel, aber die Enge der Ehe, die Familie als Druckkessel nimmt zu. In diesem Spannungsfeld stehen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenüber. Es wird immer deutlicher: „Im Alltag herrscht eine Gewalt des Schweigens“ – transportiert durch „de[n] Hass des Vaters, die Erstarrung der Mutter“.

„Alle Gewalt geht von der Familie aus“

Baracke zeichnet sich durch die Feinheiten des Zwischenmenschlichen aus. Das Bamberger Ensemble unter der Regie von Philipp Arnold bringt diese auf verschiedenen Ebenen zum Ausdruck. Einprägsam sind besonders die Sprechchöre, in denen synchron frontal das Publikum angesprochen wird, oder die kammerspielhaften Szenen zwischen Bea und Ramin bzw. Vater und Mutter. In der Inszenierung wird allerdings häufig und in Akt III fast ausschließlich eine Live-Videoübertragung (Sarah Kurrle) der Schauspielenden auf eine Leinwand verwendet, während sich das tatsächliche Geschehen im Dunklen abspielt. Somit geht in mehreren Sequenzen die dem Theater eigentümliche Nähe verloren, weil der direkte Zugang zu den Schauspielenden durch einen semi-transparenten Vorhang, der die Bühne nach hinten versetzt, und das Spielen sowie Filmen im Dunkeln unterdrückt wird. Diese Methode fand auch bereits in anderen Inszenierungen des ETA Hoffmann Theaters Gebrauch, wie beispielsweise in Paula Thieleckes Stück zu Kathy Acker, und kann die Dramaturgie bereichern – wirkt in diesem exzessiven Gebrauch jedoch stellenweise überbordend.

Rainald Goetz erklärte selbst in seiner Rede zur Uraufführung 2023 am Deutschen Theater Berlin, dass er mit Baracke Familie in beiden Dimensionen, Innen und Außen, zeigen wolle. Also ein „Familienstück“, aber nicht „nur“ das. Zweifelsohne ist es eine Kunst des Dramas Konflikte anzureißen, Dynamiken anzudeuten, die Zuschauenden hinzuführen, ohne etwas vorzubuchstabieren. In Baracke gelingt es leider nicht immer kohärent die Grenzen des Familienstücks aufzuweichen und darüber hinaus zu gelangen. Baracke will nicht per se zu viel, nur in Teilen werden die Verbindungen zuerst nicht klar genug. Goetz’ Intention das Politische abzubauen, maximal zu implizieren, damit die Explizität des Familienstücks im Fokus und „nur noch das undeutliche Gefühl der Anwesenheit scheußlicher politischer Dinge in der Außenwelt um die Familie herum übrigbleibt“, transportiert zwar die bedrohliche Stimmung überzeugend. Folglich muss das Stück aber auch Aussagen von Zuschauer*innen in der Pause wie „Also ich finde es großartig, verstehe aber gar nichts“ oder nach dem einschneidenden Ende ein erschlagendes „was für ein Downer“ in Kauf nehmen, auch wenn anschließend beteuert wird, dass man es natürlich trotzdem ganz toll fand, aber eben sehr erdrückend. Über diese Schwachstellen des Textes trösten die Leistungen der Schauspielenden etwas hinweg. Die bedeutungsträchtigsten Momente des Stücks erreichen ihre Intensität durch das darstellende Vermögen, insbesondere von Alina Rank und Barbara Wurster. Jeremias Beckford, Leon Tölle und Daniel Seniuk demonstrieren anhand ihrer diversen Rollen die Pluralität von Männlichkeit in Beziehungen und Familie, zeigen ihre Abgründe, die Motive und Anfänge sowie Konsequenzen daraus.

Mit dem wie immer umfassenden und passend ergänzenden Material des Programmhefts des ETA Hoffmann Theaters ausgestattet, ist Baracke zu empfehlen, um die Nuancen des Zwischenmenschlichen im Kontext von Familie und Gewalt zu erleben.

Weitere Aufführungen finden am 29.01., 31.01., 27.02., 28.02., 07.03., und 08.03.2025 statt.

von Michaela Minder

Bild links (v.l.n.r.): Leon Tölle, Barbara Wurster, Jeremias Beckford, Daniel Seniuk, Alina Rank, Bild rechts (v.l.n.r.): Alina Rank, Sarah Kurrle, Jeremias Beckford, Leon Tölle, Daniel Seniuk

Bild links (v.l.n.r.): Alina Rank Leon Tölle, Jeremias Beckford, Bild rechts (v.l.n.r.): Sarah Kurrle, Leon Tölle, Daniel Seniuk, Barbara Wurster, Alina Rank, Jeremias Beckford

Bild links: Daniel Seniuk, Bild rechts (v.l.n.r.): Jeremias Beckford, Alina Rank, Leon Tölle

Alle Fotos: © Birgit Hupfeld

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert