ETA Hoffmann Theater – Die Eingeborenen von Trizonesien – Eine Hanswurstiade
ETA Hoffmann Theater – Die Eingeborenen von Trizonesien – Eine Hanswurstiade

ETA Hoffmann Theater – Die Eingeborenen von Trizonesien – Eine Hanswurstiade

Wer ist das eigentlich, „die Deutschen“?

„Deutsch sein“, was ist das denn eigentlich? Dieser Frage geht der Dramatiker Björn SC Deigner in seinem Stück „Die Eingeborenen von Trizonesien – Eine Hanswurstiade“ nach. Benannt nach dem gleichnamigen Karnevalsschlager von 1948/49 nimmt das Stück das Lied als Ausgangspunkt, um die Entwicklung der Bundesrepublik seit ihrer Erschaffung als „Trizonesien“ zu betrachten. Vom neuen Grundgesetz ausgehend verfolgt man die Trizone auf der Suche nach einer neuen Identität und deren Interpretation. Eigens im Auftrag des ETA Hoffmann-Theaters geschrieben, feierte es dort am 15. Januar 2025 unter der Regie von Sibylle Broll-Pape Premiere.

Herrlich ist es anzusehen, das neu gegründete Trizonesien, das sich in seiner frisch gewonnenen – oder eher zugeteilten? – Selbstsicherheit frönt, und jeden Gedanken an die Vergangenheit von sich schiebt. In Form von Fuchs, Wolf und Hase sitzt es zu Beginn des Stücks beim Kartenspielen, den vollen Aschenbecher in der Mitte vor sich und ein Bier in der Kralle. Kurzum: Alles in bester Ordnung, man fühlt sich wohl, man stößt an, man redet darüber, nun ein „Volk“ zu sein – aber bloß nicht völkisch!

„Die gute Stube“, wie es über dem Bühnenbild prangt, dient als Kulisse, eine rauchig-verqualmte, „gutbürgerliche“ Wirtschaft, die an allen Ecken und Enden mit ausgestopften Tieren, Geweihen und Eiche rustikal gespickt ist. Eine ebenso rustikale Jukebox, die rechts auf der Bühne steht, untermalt die Szenerie mit deutschen Hits des vergangenen Jahrtausends, deren Übergänge zwischen Intradiegese und Extradiegese feinsinnig fließend sind.

Vor diesem Hintergrund verfolgen die Zuschauenden, die sich in der ersten Reihe „mit“ an die Tische der Wirtschaft setzen können, die Entwicklung von Trizo- (bzw. Quatro-)nesien, durch unterschiedlichste Rollen der vier Schauspielenden (Marek Egert, Magdalena Helmig, Stefan Hermann und Eric Wehlan) dargestellt. Diese erscheinen unter anderem als Karnevalsjecken, die das Publikum eifrig zum Mitsingen von Karl Berbuers namensgebendem Schlager auffordern, als in rote Roben gekleidetes Bundesverfassungsgericht, einem Bayern in Lederhosen, dem klassischen arbeitenden Bürger und Ernährer, sowie Persil-Waschmittel oder Klosterfrau-Melissengeist. Sie verkörpern sowohl Hoch- als auch Tiefpunkte der deutschen Geschichte auf amüsant-übertriebene Art und Weise, hinter der man trotz allem Humor die Ernsthaftigkeit nicht vergisst.

„Wenn wir niemand mehr sind, wo kommen wir denn da hin?“

Das Stück gleicht einer Zeitreise durch die Jahrzehnte in Deutschland unmittelbar ab dem Zweiten Weltkrieg bis heute, knausert aber nicht mit Aktualität. Björn SC Deigner, der den Auftrag erhielt, ein Stück über das Grundgesetz zu schreiben, lässt dieses wie einen roten Faden durch das Stück laufen. Entsprechende Artikel werden folglich auf einem Bildschirm über der Bühne eingeblendet, auf die sich das Geschehen augenblicklich konzentriert. Die Frage der Identität der Trizonesier wird stets begleitet von der „Formung“ dieser durch Gesetzesartikel sowie deren Auslebung – oder eben auch nicht. Denn natürlich sind beispielsweise laut dem Grundgesetz alle Menschen gleich – aber die Erwerbstätigkeit von Frauen in den 50er Jahren kann man trotzdem noch nicht guten Gewissens in Erwägung ziehen. Und als dann in neuerer Zeit „jemand vor der Tür steht“ und „klopft, weil er hereingelassen werden will“ – da bekommt man es schreiend mit der Angst zu tun.

Einer Glosse gleich hält Deigner der Gesellschaft den Spiegel vor, da auch aktuelle Probleme aufgezeigt werden, und auf welcher Basis sich diese entwickeln konnten. In der Einführung zum Stück und im Programmheft wird die Darstellung mit einer „Menschenschau“ verglichen – ebenfalls ein scharfzüngiger Seitenhieb auf die braune Vergangenheit mancher Tierparks, die schon im Kaiserreich existierten – und genau deshalb, aber auch ohne Bezug dazu, treffend gewählt.

Deigner präsentiert keine finale Antwort auf eine Identität, und gleichzeitig ist sein Stück Antwort genug. „Trizonesien“ gibt es nicht mehr, und zurück bleiben vorerst eine Verfassung und die Frage, welches Land es nun ist, das dazu gehört. Ein kurzweiliges Stück, das die Balance zwischen Witz und Ernst famos aufrechterhält und trotz der aktuellen Thematik eine gelungene Auszeit vom Alltag verspricht.

Die nächsten Aufführungen finden am 01.02., 06.03., 09.03., 14.03. und 15.03. statt. Vor Beginn des Stücks gibt es eine Einführung in der Treffbar.

von Nike Kutzner

Bild links (v.l.n.r.): Marek Egert, Eric Wehlan, Magdalena Helmig, Stefan Herrmann, Bild rechts (v.l.n.r.): Eric Wehlan, Stefan Herrmann, Magdalena Helmig, Marek Egert

Alle Fotos: © Martin Kaufhold

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