Mattia Insolia – Brennende Himmel
Mattia Insolia – Brennende Himmel

Mattia Insolia – Brennende Himmel

„Wir waren die, die im Leben der anderen Schmerz verursachen.“

CW: Drogenkonsum, körperliche, rassistisch motivierte und sexualisierte Gewalt, Suizid

Nach Mattia Insolias grandiosem Debüt Die Hungrigen folgt nun sein zweiter Roman Brennende Himmel. Es geht wieder um hurt people hurt people, um die Spannung zwischen Eltern und Kindern, die auf Enttäuschung und Versagen beruht und so tiefe Gräben hinterlässt, dass eine Überbrückung unmöglich ist. In Brennende Himmel kommen nun allerdings auch Eltern zu Wort – als sie selbst Jugendliche waren –, die davon erzählen, was sie erlebt haben, bzw. was ihnen widerfahren ist. Wie diese Erfahrungen sie zu den Menschen gemacht haben, die sie heute sind und welche Rolle ihre Eltern wiederum dabei gespielt haben, lässt Insolia stets miteinfließen. Es wird eindrücklich transportiert, wie diese Prägungen noch immer nachhallen. Der Roman wird folglich in zwei Zeitebenen erzählt: Der Sommer 2000 handelt von Teresas und Riccardos Kennenlernen, während im Winter 2019 Niccolò auf einem Roadtrip mit seinem Vater die gemeinsame Vergangenheit seiner Eltern kennenlernt.

„Kinder sind eine Anhäufung aus Gewissensbissen und Sehnsüchten, nie vergessenem Schmerz und kleinen Glücksmomenten, die die Eltern, arme Teufel im Kampf gegen ihre Vernichtung, zusammenschustern, im Versuch sich selbst wieder zusammenzuschustern.“

Insolia schafft es mit einem begrenzten Figurenrepertoire bestehend aus Teresa, ihren Eltern, ihrer Jugendfreundin Elena sowie Niccolò und Riccardo ein schier endloses Geflecht an Beziehungen und Dynamiken auszudrücken. Eine gewalttätige Mutter, die mit sich selbst derart unzufrieden ist und ihren Frust und die Wut darüber an der eigenen Tochter in Form von physischer und psychischer Gewalt auslässt sowie ein Vater, gelähmt von Ohnmacht und dem somit zerstörten Vertrauen der Tochter, würden als Metaebene für einen Roman bereits ausreichen. Insolia geht aber weiter, denn Menschen sind komplex und stehen in Verbindung zu all ihren Begegnungen, zu all den Personen, die einen Teil ihrer Geschichte mitgeschrieben haben. Teresas Gefühl der Unzulänglichkeit, die Dysphorie zu ihrem Körper und ihrem Aussehen rührt tief, durch die Verletzungen der Mutter, aber auch durch den ständigen Vergleich mit ihrer normschlanken und als attraktiv angesehenen Freundin. Das daraus resultierende ständige Vergleichen und Für-unzureichend-Befinden, die Eifersucht und das Konkurrenzdenken werfen einen Blick auf die Schattenseiten von Freundinnenschaft, in einer Gesellschaft, die von pretty privilege durchzogen ist und Frauen gegeneinander ausspielt. So wie das Verhältnis zur Mutter das geringe Selbstbewusstsein immer wieder zementiert, greift es auch in die Dynamik mit Elena ein und befeuert diese. Diese Verflechtungen ziehen weite Kreise und bilden die Grundlage für das Auftreten Teresas Riccardo gegenüber und für die Plattform, die dieser dadurch erhält. Unsicherheit und Naivität, der Drang zur Kompensation, um endlich nicht mehr hinterherzuhängen, um endlich auch begehrt zu werden, ziehen sie in den Bann des Jungen, der „so schön [war], dass es ihr wehtat“. Sogar körperlich wehtat, sodass sie die Bedrohung, die von ihm als „Wilde[n]“, als „Raubtier“, als „Gefahr“ ausgeht, ignorieren.

„Er wollte […] seinen Sohn […] mit der Schuld spicken, die er auf sich geladen hatte. Um diese Last von sich zu nehmen, im aussichtslosen Versuch, sich selbst wieder auf null zu setzen.“

Niccolò ist ein materiell verwöhnter, rücksichtsloser Jugendlicher, der sich überlegen fühlt und frauenverachtend verhält. Auch deshalb hat er zu seiner Mutter ein äußerst angespanntes Verhältnis, weil sie ihm nie den Grund erzählte, wieso sie den Namen seines Vaters nicht in den Mund nimmt. Ein Vater, der sich nur unregelmäßig für das obligatorische Essengehen mit seinem Sohn blicken lässt. Als er hierfür im Winter 2019 auftaucht und versucht, Niccolò zu einem Roadtrip zu überreden, willigt dieser nur ein, um seiner Mutter eins auszuwischen. Auf dieser Reise zum Ferienort Camporotondo, in dem sich seine Eltern kennenlernten, wird er wiederum seinen Vater, sich selbst und die Wahrheit kennenlernen.

„Und doch war größer, erwachsen werden vielleicht nichts anderes als das: sich so stark an seine eigenen Illusionen zu hängen, bis sie zu einer Welt wurden, in der man leben konnte.“

Im Verlauf des Romans erfahren Niccolò sowie Leser*in immer mehr über Teresas und Riccardos gemeinsame Vergangenheit, die Stimmung wird zunehmend düster, das Unheil ist prophezeit. In den letzten 20 Seiten kommt es zum Finale – in beiden Zeitebenen. Insolias Versuch auf diesen Seiten das komplexe Beziehungsgeflecht hinreichend aufzulösen erscheint durch die Differenz zwischen der heraufbeschworenen Fallhöhe und dem Verhandeln des Endes als zu einfach. Auch ist fraglich, ob es den ultimativen Gewaltakt als Rechtfertigung für Teresas Verhalten braucht – in Teilen läuft Insolia Gefahr, die Brutalität scheinbar auszuschlachten. Die Diskrepanz zwischen Teresas Dysphorie, entstanden und geschürt durch Fremdzuschreibungen, steht beispielsweise im Widerspruch zu Beschreibungen, dass sie in einem klischeehaften Makeover sehr wohl in ein Outfit von Elena passt, es lediglich ein wenig eng ist, aber die Wandlung vom vermeintlich hässlichen Entlein zu einer jungen begehrenswerten curvy Frau vollkommen ist. Es wird nicht klar genug, ob der Autor immer und immer wieder ausdrücken will, wie gefangen Teresa in ihrer Dysphorie ist, oder ob es sich leider um den verschobenen Blick männlicher Autoren auf weibliche Figuren handelt.

Brennende Himmel erzählt die Abgründe der Figuren, ohne ihnen einen redemption arc zu gewähren. Das macht die Geschichte besonders schmerzhaft, da man hofft, dass sich Schicksale nicht wiederholen oder auf die durchstandene Hölle wenigstens soweit möglich Erlösung folgt. Der Autor vermag so jedoch ein realistisches Portrait von Menschen, ihren Entscheidungen und deren Auswirkungen zu zeichnen. Er verweigert die Illusion, dass mit einem läuternden Erlebnis alle Kreisläufe der Schuld, des Bösen und der Gewalt sicher durchbrochen werden können – vielleicht ist es möglich, vielleicht ist es das auch für Niccolò, aber gewiss ist es nicht und es kommt auf seine zukünftigen Entscheidungen an.

Brennende Himmel besticht durch seine Spannung, die Tiefe an Emotionalität und Reflexion, die jeder Erzählperspektive zugrunde liegt, und Insolias Vermögen hurt people hurt people einzufangen, aber nicht zu entschuldigen.

von Michaela Minder

Mattia Insolia
Brennende Himmel
Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter
Karl Rauch 2024
352 Seiten
25,00 Euro
ISBN: 978-3-7920-0284-1

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