„Auf ihm das Gewicht der Welt, und unter ihm die Tiefe von allem.“
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Andrew McMillan, bekannt durch seine Gedichtsammlungen, wie beispielsweise sein mehrfach ausgezeichnetes Lyrikdebüt Physical, liefert nun seinen ersten Roman. Herzgrube (englischer Originaltitel: Pity) spielt in Barnsley, einer ehemaligen Bergbaustadt in South Yorkshire, in der auch der Autor aufwuchs. McMillan vereint in seinem Prosadebüt diverse Erzählstränge und Perspektiven miteinander. Die episodenhaften, kurzen Kapitel sind in prägnanten Absätzen verfasst und geben die Geschichte eines Ortes und das Austarieren von Männlichkeiten auf der Klippe zwischen Vergangenheit und Gegenwart wieder.
Die Erzählung umfasst drei Generationen. In Rückblenden werden anhand des Großvaters Brian die Arbeit in der Kohlemine sowie deren Auswirkungen und Gefahren veranschaulicht. In der Gegenwart wird Stück für Stück offengelegt wie seine beiden Söhne Brian und Alex sowie sein Enkel, Alex‘ Sohn, Simon mit dem Erbe der Vergangenheit Barnsleys umgehen und ihren eigenen Platz dort finden. Ergänzt werden diese Perspektiven durch Sequenzen der Feldforschung, in denen eine Gruppe von Wissenschaftler*innen die Geschichte Barnsleys, das „[…] Erinnerte ebenso wie das Vergessene“, erforscht und über die Erkenntnisse reflektiert. Gleichfalls gibt es die wiederkehrenden Kapitel Überwachung: CCTV, die mit unterschiedlichsten Zugängen auf die Figuren der Gegenwart blicken und auf ganz besondere Art zur Erzählung beitragen.
„Männer, die sich in Museen ihrer selbst verwandeln.“
Die Suche nach Identität zieht sich durch die Charaktere im Wandel von Barnsley.
Durch die Stilllegung des Kohlebergwerks fällt die aktive Minenarbeit als identitätsstiftend ab Simons Generation weg; für die seines Vaters und Onkels hallt sie bis heute einnehmend nach und dennoch prägt sie Simon und erstreckt sich somit als Geist der Vergangenheit in die Gegenwart.
Das Verständnis von Männlichkeit spiegelt sich in dieser Suche wider. Wie viel Queerness ist in einem postindustriellen Ort wie Barnsley erlaubt? Wie viel Queerness erlaubt man sich selbst oder dem Partner? Besonders die Figuren Alex sowie Simon mit Ryan, seinem Freund, tarieren diese Dimensionen eindrücklich aus.
Andrew McMillan als Dichter findet sich auch in seinem Romandebüt wieder. Die Sprache ist reich an leiser Symbolik, schmerzlich schönen Bildern und einem Klang, der nachwirkt. Leider geht im direkten Vergleich mit dem englischen Original etwas von der Kraft der lyrischen Prosa verloren, aber lediglich in einem Ausmaß wie es bei Übersetzungen schlicht der Fall ist. Robin Detje schafft es dennoch, McMillans Ton einzufangen und im Deutschen wiederzugeben, ohne ihn unkenntlich zu machen oder sich zu sehr von der ursprünglichen Poesie zu entfernen.
Herzgrube als Romandebüt, in dem sich die lyrische Sprache McMillans wiederfindet, ist überaus gelungen und aufgrund der nuancierten Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Erbe einer ehemaligen Bergbaustadt und Queerness zu empfehlen!
von Michaela Minder
Andrew McMillan
Herzgrube
Aus dem Englischen von Robin Detje
Claassen 2025
224 Seiten
24,00 Euro
ISBN: 9783546100687