„Kein Mensch kann immer auf der Höhe der Zeit sein“
—
Joachim Philipp Maria Meyerhoff, der Autor des Romas Man kann auch in die Höhe fallen und Erzähler, ist zu seiner Mutter gezogen, weil er sein Leben nicht mehr ertragen kann. Er hatte einen Schlaganfall in Wien und ist für einen Neuanfang nach Berlin umgezogen. Dort kam er dennoch als Schauspieler und Vater zweier Kinder nicht zurecht, weshalb er sich entschieden hat, allein zu seiner Mutter aufs Land zu ziehen. Während des Zusammenlebens mit seiner Mutter erzählt er etwa 100 Seiten lang über seine Beobachtungen seiner Mutter. Er beschreibt, wie die Achtzigjährige lebendig, mächtig und selbstbestimmt ihr Leben führt, als wäre sie eine Kriegerin, obwohl ihre Arbeit im Garten oder Haushalt stattfindet. Nach einiger Zeit fragt sie ihn, was ihm eigentlich passiert sei. Am Anfang meidet er das Thema aber nach dem Trost seiner Mutter spricht er allmählich über seine Geschichte: „Die Menschen brauchen Geschichten. Auch heitere Geschichten. Es muss nicht immer um alles gehen, wenn es gut erzählt ist. Kein Mensch kann immer auf der Höhe der Zeit sein, schon gar nicht auf der Höhe dieser Zeit.“
„Die Höhe der Zeit ist aber nichts wert, ohne sich des Ortes bewusst zu werden“
Joachim Meyerhoff spricht über sein Leben auf schöne literarische und zugleich humorvolle Weise. In Wien wurde er von einer Entrümpelungsfirma um bis zu etwa 2000€ betrogen, als er die Firma für das Aufräumen des Kellers im alten Haus engagiert hatte. Einige wertvolle Andenken seiner Familie aus dem Keller hatte er in seinen Koffer eingepackt; dennoch verlor er diesen plötzlich, als er nach Berlin kam und in eine Bar zum Trinken gegangen war. Glücklicherweise bekam er ihn später zurück.
„Ich habe damals verstanden, dass das Theater viel zu oft meint, es könne immerzu voranschreiten, zeitgenössisch sein und auf der sogenannten Höhe der Zeit agieren. Die Höhe der Zeit ist aber nichts wert, ohne sich des Ortes bewusst zu werden, an dem sie verrinnt, und derer, die ihn vielleicht seit Jahrzehnten mit ihrem Dasein geprägt haben.“
Im Teil über den Applaussammler arbeitete Joachim am Gorki Theater und entwickelte gemeinsam mit älteren Schauspielern aus der DDR-Zeit ein Theaterprojekt rund um die Sauna, die früher ein Treffpunkt für die Darsteller während der Aufführungen war und viele symbolische Erinnerungen barg. Er rekonstruierte diesen Ort auf der Bühne und brachte die Geschichten der alten Schauspieler szenisch zum Ausdruck.
Joachim erzählt weiterhin Episoden aus seinem Leben in ruhiger, aber zugleich spannender Weise, in loser Abfolge von Episoden, die sowohl Lebenskrisen als auch Erfolge umfassen. Die Beobachtung seiner Mutter wird ebenfalls in regelmäßigen Abständen mit seiner eigenen Geschichte verbunden beschrieben. Man könnte daher am Anfang des Buches verwirrt sein, worum es tatsächlich geht. Erst nach etwa 200 Seiten können die Leser*innen wirklich begreifen, worüber der Erzähler sprechen möchte. Das Buch drückt das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen auf wunderschöne literarische Weise aus, jedoch benötigt es etwas Geduld, um bis zum Ende zu gelangen. Man kann auch in die Höhe fallen ist auf jeden Fall empfehlenswert, da die Beschreibung seines Leids und Glücks sprachlich sehr gelungen ist und den Leser*innen Gelegenheit gibt, über das Leben nachzudenken.
von Si hyun Joo

Joachim Meyerhoff
Man kann auch in die Höhe fallen
Kiepenheuer & Witsch
352 Seiten
26,00 Euro
ISBN 978-3-462-00699-5