Momfluencer als Instrumentalisierung für rechte Ideologie
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CW: Gewalt, Rassismus, Rechtsextremismus, Verschwörungserzählungen
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Hannah Lühmann widmet sich in ihrer journalistischen Arbeit unter anderem der Neuen Rechten. Davon handelt auch ihr zweiter Roman Heimat, genauer von Tradwives, insbesondere denen, die rechte Ideologie als Ideal von Weiblichkeit und Mutterschaft propagieren.
Protagonistin Jana ist Ende dreißig, verheiratet mit einem Lehrer, bereits Mutter von zwei kleinen Kindern und gerade erneut schwanger. Schon vor zwei Jahren, vor der Geburt ihrer jüngeren Tochter, wollte sich die Familie den Traum eines eigenen Hauses erfüllen. Das stellte sich aber schnell als „klar begrenzte Realität“ heraus, da die Stadt und die beliebten Vororte nicht erschwinglich für sie waren – trotz der Vollzeitstellen beider Eltern. Hinaus also über den Speckgürtel und hinein in eine Neubausiedlung.
Frisch dort angekommen begegnet Jana Karolin. Jana ist sofort fasziniert und wie in einen Bann gezogen von dieser Frau, deren Leben mit ihrem Mann Clemens und der Schar von fünf Kinder perfekt scheint. Karolin versteht sich als traditionelle Hausfrau: Sie macht alles selbst – und das vermeintlich mühelos; ordnet sich ihrem Mann unter – das vermeintlich erfüllt; und richtet sich ideologisch stark konservativ aus – vermeintlich „aufgewacht“. Eine deutsche Tradwife also. Dazu trägt sie dieses Bild von sich, ihrem Leben und ihrer Weltanschauung in die Öffentlichkeit mit einem international erfolgreichen Instagram-Account, dessen Content auch Jana zunehmend obsessiv verfolgt. Die beiden freunden sich schnell an und Jana taucht immer mehr in den Kosmos von Karolin und ihrer Freundinnen ein.
Jana hat kürzlich ihre Kündigung eingereicht und weiß nicht, wie es beruflich für sie weitergehen soll. In der Ehe kriselt es, Jana ist stark überfordert mit der Care-Arbeit, die sie zum größten Teil leistet. Die alltägliche Irritation mit ihrem Mann, die in Frustration und Missmut umschlägt, wenn er sich der familiären Verantwortung entzieht, steigern Janas Verlorensein. In Karolins Welt findet sie zunehmend Zuflucht. Auch wenn immer wieder Momente der Befremdung aufblitzen, wenn beispielsweise im Lesekreis Erziehungskonzepte statt Unterhaltungsliteratur mehr angepriesen als diskutiert werden: Impfen sei Gift und statt Kitabetreuung bräuchte ein Kind lediglich eine konstant präsente Mutter, weil Kitakinder lebenslang unter einem erhöhten Stresslevel zu leiden hätten. Dennoch verpufft die Reflexion immer wieder und auch Jana verfällt diesem trügenden Schein.
Wolf im Schafspelz
Lühmann dechiffriert mit Janas Geschichte und dem Figurenspektrum des Romans diverse Dynamiken, die eine Radikalisierung vor einer täuschend idyllischen Kulisse der mittelständischen Kleinfamilie zeichnen. Auch die Widersprüchlichkeit und Doppelmoral, die die rechtskonservativen Mean Girls Karolin & Co an den Tag legen wird eindrücklich beschrieben, indem beispielsweise eine der Frauen Jana gegenüber zwar die ideologische Keule schwingt, aber selbst nicht die eingeforderte Konsequenz an den Tag legt.
Klar wird, dass Jana nicht passiv hineingezogen wird. In Momenten, in denen sie ihre konträren Einstellungen in der Konfrontation mit Karolins Weltbild verhandelt, schwingt sie letztlich um, verschiebt den Fokus und blendet die Widersprüche aus. Die Autorin zeigt deutlich auf, wie subtil Faszination in Assimilation umschlagen kann, wie entscheidend die Empfänglichkeit dafür ist und wie man aktiv an etwas herantritt, anstatt unbeteiligt hineingezogen zu werden. Diese Stärken des Romans zeichnen ihn als interessante Auseinandersetzung mit rechter Radikalisierung insbesondere von Frauen und genauer Müttern aus.
Spannende Impulse, die leider zu oberflächlich bleiben
Leider bleiben auf den gerade mal 176 Seiten des kurzen Romans mehrere Erzählstränge auf der Strecke und versanden unterentwickelt. Ein breites Themenspektrum wird angerissen, aber nicht vertieft. Asylpolitik, Drag Shows, Hausunterricht, vermeintliche Abhärtung als Erziehung, die sich tatsächlich als in Kauf genommene Fahrlässigkeit entpuppt sowie Wertevorstellungen, die sich im Verlauf einer Beziehung konträr zueinander weiterentwickeln u.v.m. zeigen einerseits auf, wie sich die Radikalisierung in sämtlichen Sphären bemerkbar macht, werden andererseits aber nicht genauer betrachtet. Somit zeigt die Autorin lediglich die möglichen Facetten von rechtskonservativen Tradwives auf, ohne diese eingehend zu verhandeln und lässt Leser*innen dadurch unbefriedigt zurück. Ebenfalls bleibt unbeachtet, warum Jana neben ihrer Mutter und ihrem Ehemann keine sozialen Kontakte außerhalb ihres neuen Umfelds hat. Die bedeutende Rolle der zunehmenden Abkapselung vom bisherigen sozialen Netz – amplifiziert, wenn ein solches gar nicht existierte – für Radikalisierungen findet keine nähere Betrachtung, was gerade im Kontext der Thematik relevant gewesen wäre. Die Dimensionen häuslicher Gewalt werden mit Karolin und Clemens mehrfach angedeutet, aber dabei bleibt es auch. Möglich wäre, dass die ausbleibende Vertiefung dessen genau die willentliche Apathie, die auf die anfänglichen Nachfragen folgt, und das daraus resultierende Wegschauen transportieren soll. Falls sich diese stilistische Intention dahinter verbirgt, geht diese in der Summe der anderen zahlreichen unterentwickelten Erzählstränge verloren. Letztlich ist vor allem das Ende des Romans irritierend, da es bewusst schemenhaft bleibt und die Vorboten von Zweitfrau und Verschleierung wirklich nur erahnen lässt – ein sicherlich gezielt vages Ende, bei dem man gerne drangeblieben wäre, um mehr zu erfahren.
Heimat entfaltet seine Wirkung, indem der Roman aufzeigt, wie eine Radikalisierung aus der Perspektive einer Mutter vollzogen werden kann, aber die genannten unter- bis nicht entwickelten Erzählstränge schmälern den vielversprechenden Ansatz des Romans, sodass sein Potenzial nicht ausgeschöpft wird.
von Michaela Minder

Hannah Lühmann
Heimat
hanserblau 2025
176 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-446-28282-7