Nicht schweigen
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Das Buch Wir sind noch da! – Mutige Frauen aus Afghanistan, welches im Oktober 2021 erschienen ist, beschreibt die aktuellen Lebensumstände, Ängste und Befürchtungen sowie Hoffnungen für die Zukunft von 14 Frauen, inklusive der Herausgeberin Nahid Shahalimi, nach der Machtübernahme der Taliban im August letzten Jahres, die das Leben aller Frauen in ein Davor und Danach teilt. Alle Texte der einzelnen Frauen stehen dabei für sich und thematisieren gleichzeitig die Situation der Frau im Allgemeinen unter dem Talibanregime. Die Frauen benennen viele Beispiele aus ihrem Leben „davor“ und den Einschränkungen, die seitdem auf sie einprasseln und die bis heute nicht weniger, sondern immer mehr geworden sind (leider jedoch kaum mehr eine Rolle in der täglichen Berichterstattung spielen). Die Erzählerinnen kommen dabei alle durchweg aus dem gebildeten Milieu, viele flohen bereits bei der ersten Machtergreifung mit ihren Familien aus dem Land und befinden sich auch heute nicht mehr in Afghanistan. Dennoch kämpfen diese Frauen mit beeindruckendem Mut für ihre Freiheit und für ihre Unabhängigkeit von (ihren) Männern. Dabei nutzen sie die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts voll aus und organisieren ihren Widerstand beispielsweise über Soziale Medien, welche es bei der letzten Machtergreifung der Taliban vor 20 Jahren noch nicht existierten. Die Erzählerinnen kommen aus Wirtschaft, Politik und Kultur und decken somit die Gesellschaft so sehr breit ab. Vor allem die Frauen aus der Politik thematisieren immer wieder auch den Schuldanteil des Westens bezüglich der aktuellen Situation, jedoch ohne dabei anklagend zu sein. Neben vielen klugen Gedanken, werden auch wichtige Fragen aufgeworfen: Ist eine schlechte Einigung mit den Taliban besser als keine? Sind Verhandlungen mit den Taliban überhaupt möglich? Wie sieht das Demokratieverständnis der Afghan*innen aus? Was bleibt davon in 10-15 Jahren? Und wer bleibt? Als Leser*in berühren diese Fragen und lassen einen teilweise ratlos, ob der eigenen Hilflosigkeit zurück.
Ein Buch von Frauen, nicht über Frauen
Jetzt ist es also Zeit, dass die afghanischen Frauen selbst zu Wort kommen. Denn wie Susanne Koelbl, SPIEGEL-Auslandsreporterin, richtig beschreibt: „20 Jahre lang haben die afghanischen Frauen sich entwickelt und qualifiziert und mitgeredet. Viele haben die neue Chance genutzt, der Himmel war die Grenze, zum Beispiel für die afghanischen Pilotinnen. Jetzt ist die Grenze, seit der Machtübernahme der Taliban, für die meisten nur noch wenige Meter vom Herd entfernt und endet an der Haustür.“ Diese Politikerinnen, Sängerinnen, Nachrichtensprecherinnen, Lehrerinnen, Gründerinnen wollen nicht klein beigeben und die aktuellen wortlos Gegebenheiten akzeptieren. Sie wissen, was Margret Atwood so deutlich auf den Punkt bringt: „Ohne Frauen kann kein Land lange bestehen. Egal, wie sehr ein Regime Frauen hasst und straft, ganz ohne sie kommt es nicht aus. Aber von welcher Art werden diese Frauen sein? Wir werden es sehen.“ Die dargestellten Frauen nehmen diese schwere Aufgabe an, ihre Heimat – für sie – wieder zu einer Heimat zu machen. Das Buch sendet eine klare Botschaft: Die afghanischen Frauen von heute sind mutige Kämpferinnen und keine Opfer. Dafür verdienen sie den Respekt und die Unterstützung der Welt.
von Hannah Deininger
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Nahid Shahalimi (Hg.)
Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan
Elisabeth Sandmann Verlag 2021
143 Seiten
22,00 Euro