Paul Maar über die Pfützen der Erinnerung
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Das innere Kind kennt wohl niemand so gut wie der Zeichner und Autor Paul Maar. Mit seinen Kinderbüchern und fantastischen Figuren wie dem Sams sind viele aufgewachsen. Wie muss die eigene Kindheit ausgesehen haben, dass man als Erwachsener Geschichten schreiben kann, die Kindern einen besonderen Rückzugsort bieten? Dass diese Frage viele interessiert, wurde bei der gut besuchten Lesung aus Paul Maars autobiografischen Roman Wie alles kam. Roman meiner Kindheit am Mittwoch, den 18. Januar 2023, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg deutlich.
Der Raum ist „polizeilich unerlaubt voll“, wie Prof. Dr. Friedhelm Marx vom Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft zur Begrüßung feststellt. Das Publikum ist bunt gemischt, umfasst eine große Altersspanne und blickt erwartungsvoll nach vorne.
Nach Paul Maars ersten Schilderungen, wie es zu seinem ersten Roman für Erwachsene gekommen ist, wird schnell klar, dass er es versteht, einen vollen Raum zu unterhalten. Vor ein paar Jahren verbrachte er ein paar Wochen in einer Rehaklinik, wo ihn sein Sohn und dessen Agent besuchten. Letzterer riet Paul Maar, endlich ein Buch über sein eigenes Leben für Erwachsene zu schreiben. Die ersten 30 Seiten des Romans entstanden noch in der Reha.
Dabei wurde ihm sofort klar, dass er nicht chronologisch vorgehen würde. Er schrieb, was ihm besonders vorkam. Maar beschreibt diesen Vorgang nicht als einen Fluss des Erinnerungsstroms, sondern als würden seine Erinnerungen kleine Pfützen bilden. Manche von ihnen ließen sich durch Brücken verbinden, andere blieben isoliert. Gerüche seiner Kindheit und alte Fotografien haben ihm geholfen, sich zu erinnern.
„Winzige Inseln im schwarzen Meer“
Sein eigenes Werk kennt der Autor natürlich besser als jede*r Leser*in. Daher überrascht es auch nicht, dass er eine Stelle, die er vorlesen möchte und nicht direkt findet, nahezu wortwörtlich frei nacherzählen kann. Die einstündige Lesung fängt den Geist des Romans ein: zwischen amüsanten Anekdoten aus der behüteten Kindheit bei den Großeltern und bedrückenden Schilderungen des schwierigen Vater-Sohn-Verhältnisses lässt sich ein Mensch ausmachen, der ein Leben wie viele seiner Generation gelebt hat. Trotzdem hat er seinen Humor nie verloren. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, wieso Paul Maar so nahbar wirkt und das Publikum für sich einnimmt. Wie alles kam ist ein einfühlsames, nachdenklich stimmendes und bewegendes Buch. Sich auf eine innere Insel zurückzuziehen, ist nicht nur die Überlebensstrategie eines Kindes, das während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit aufwächst, sondern auch ein wiederkehrendes Motiv in Maars Büchern.
Nach einer Stunde, in der Paul Maar vorgelesen, erzählt und Bücher signiert hat, fühlt es sich an, als sei die Lesung selbst zu einer kleinen Insel geworden, auf die sich das Publikum kurzzeitig für eine Pause vom Alltag geflüchtet hat. Maars Erzählungen haben bewegt, die Leute zum Lachen gebracht und wer künftig ein (signiertes) Buch von ihm in die Hand nimmt, wird sicherlich an diesen Abend zurückdenken.
von Antonia Rick