Durch Raum und Zeit
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Content Warning/Inhaltswarnung: Sexueller Missbrauch, Kindstod, mutwillige Gewalt und Tötungen
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In Sharon Dodua Otoos Roman Adas Raum werden die Lesenden auf eine Erkundungstour durch Zeit und Raum geschickt. Dabei steht die junge Frau Ada im Mittelpunkt aller vier Zeitschleifen, da sie immer wieder neu geboren wird. Die erste Zeitperiode stellt 1459 die Region des heutigen Ghanas dar, in der Ada Zeugin des Beginns der portugiesischen Kolonialisierung wird. 1848 erkämpft sich Ada, angelehnt an der wahren Persönlichkeit Ada Lovelace, ihren Platz als Mathematikerin, während sie 1945 als polnische Gefangene in einem deutschen Konzentrationslager als Prostituierte anderen Häftlingen zur Verfügung stehen muss. Zuletzt ist Ada als Schwarze Frau 2019 in Berlin verzweifelt auf der Suche nach einer Wohnung für sich und ihr ungeborenes Kind, das aus einem sexuellen Übergriff entstanden ist.
Die Geschichten werden nur zu kleinen Anteilen von Ada selbst erzählt, denn die hauptsächliche Erzählinstanz ist ein Wesen, das in jeder Zeitschleife ein anderes Objekt ist: ein Reisigbesen, ein Türklopfer, ein Zimmer oder ein Reisepass. Dieses Wesen erinnert die Leserschaft, in Unterhaltungen mit Gott, immer wieder daran, dass in jeder Zeitschleife dafür gesorgt werden muss, dass ein Armband an eine bestimmte Person übergeben wird. Adas Schicksal in diesen Schleifen ist also vorbestimmt – auf irgendeine Weise trifft sie auf ihren wiederkehrenden ‚Widersacher‘ (Guilherme, William bzw. Wilhelm), der in Zusammenhang mit diesem Armband steht. Auch ist Ada in allen Schleifen schwanger oder schwanger gewesen, da sie einer Prophezeiung zufolge ein Kind austragen soll. Was es mit dieser Prophezeiung auf sich hat, bleibt jedoch ungeklärt.
„Wie wollen Sie mir etwas schenken, das Ihnen gar nicht gehört?“
Adas Raum ist unglaublich vielschichtig und geht auf viele wichtige Themen ein: Wie kann eine Frau einen selbstgewählten Platz in der Welt verteidigen? Welche Rolle nimmt die Mutterschaft dabei ein? Wiederkehrend sind auch Partnerschaften, Ehen und Freundschaften: Wie unterstützt man seine:n Freund:innen? Besonders relevant ist natürlich auch der Alltagsrassismus, den die 2019-er Ada in Deutschland erfährt. Insbesondere die erste und letzte Schleife werden auch durch die koloniale Erfahrung zusammengeführt. Nicht nur dadurch, dass Ada beide Male in Ghana aufgewachsen ist, sondern auch indem der Frage der kulturellen Zugehörigkeit nachgegangen wird. Kontrastiert wird in diesem Zusammenhang beispielsweise mit Adas Aufwachsen in Ghana, in der sich ihre Rolle in der Gesellschaft ändert, wenn sie langsam zur Frau wird und die abrupte Veränderung ihres sozialen Platzes, wenn sie sich als Ausländerin in Deutschland zurechtfinden muss. Spätestens als das dubiose Armband in einer kolonialen Ausstellung auftaucht und seinen Weg zu Ada zurückfinden soll, muss sich die Leserschaft fragen, ob dieses Armband nicht sogar für die (in diesem Falle West-)Afrikanische Freiheit und Selbstbestimmtheit stehen könnte.
Eine runde Sache?
Am Ende des Buches bleiben noch viele Fragen offen, weshalb die Spekulation über die Rolle des Armbands auch nur das bleiben kann – eine Spekulation. Es scheint so, als spitzen sich die Zeitschleifen auf einen Höhepunkt zu, an dem ein bislang nur angedeutetes Ziel erreicht werden soll, am Ende des Buches ist die Pointe aber noch offen. Was war nun wirklich der Sinn der Wiedergeburten? Wer sollte dieses Armband nun endlich in Besitz haben und warum? Zweifelsohne aber spricht dieses Buch die Abhängigkeit und Interdependenzen zwischen Raum und Zeit – Globalen Süden und Globalen Norden – Vergangenheit und Zukunft an, und da auch sehr erfolgreich. Trotzdem bleiben Lücken, die von den Lesenden selbst geschlossen werden müssen.
Vielleicht macht der interpretative Freiraum auch gerade den Charme dieses Romans aus, das muss jede*r Leser*in für sich selbst entscheiden. Ich persönlich hätte mir jedoch mehr gewünscht: mehr Antworten und mehr Zeit mit den verschiedenen Adas. Durch die vielen Zeitsprünge, die vielen Charaktere und die ungewöhnliche Erzählperspektive braucht man nämlich etwas, um sich in Otoos Roman zurechtzufinden. Wenn man den Dreh heraushat, bietet Adas Raum ein wunderbares und außergewöhnliches Leseerlebnis, das jedoch für mich zu früh wieder endet.
von Kathrin Fiedler
Sharon Dodua Otoo
Adas Raum
S. Fischer Verlag 2021
317 Seiten
22,00 Euro