Der Apex
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1995 schrieb Hideaki Anno den Anime Neon Genesis Evangelion und veränderte damit in 24 Folgen ein Genre und vielleicht sogar das Medium selbst. Mecha-Anime eifern dem großen Vorbild heute noch nach und Anno ließ auf die Serie ganze sechs Filme folgen, bis er letztes Jahr endlich mit seiner Schöpfung zufrieden war. Die Serie und die Filme zusammen sind unglaublich faszinierend, erzählen die gesamte Geschichte mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln mit verschiedenen Enden und basteln eine der faszinierendsten Mischungen aus Science Fiction und religiösen Elemente, die mir je untergekommen ist.
Mit der Perfect Edition hat Carlsen jetzt die Manga-Umsetzung von Yoshiyuki Sadamoto, seines Zeichens Charakterdesigner bei Evangelion, neu aufgelegt. Die ist nicht nur verdammt hübsch, sondern funktioniert auch wesentlich besser als ich es vor dem Lesen erwartet hätte. Evangelion ist kein einfacher Stoff. Das liegt vor allem an Shinji, der ein sehr gewöhnungsbedürftiger Charakter ist, vor allem, weil die Handlung seine innere Welt sehr stark in den Vordergrund stellt. Shinji ist weinerlich, hat quasi kein Selbstbewusstsein und lässt sich vor allem gegen Anfang der Handlung mehr von Anderen mitreißen, als aus eigenem Antrieb zu handeln. Vor allem für einen Manga, der eigentlich ein jugendliches Publikum ansprechen will, doch eher untypisch.
Wehret den Anfängen
Nicht unbedingt der einfachste Einstieg also, aber die ersten paar Kapitel der siebenbändigen Reihe wissen die Leserschaft mit sehr starkem World Building direkt an die Mythologie rund um Neon Genesis Evangelion zu fesseln. Es werden gerade genug Details preisgegeben, um die Welt so interessant wie nur möglich zu machen: die riesigen EVA-Einheiten, deren gebärmutterartige Cockpits den stark freudschen Charakter von Evangelion schon sehr früh verdeutlichen und die außerdem verdammt cool aussehen, die bibelakkuraten Engel, die die Menschheit schon früh angreifen und nicht zuletzt die gigantische Stadt Neo-Tokyo 3, die einen mondgroßen Hohlraum unter sich beherbergt.
In Pressetexten zur Perfect Edition liest man immer wieder, dass Sadamoto die Handlung von Hideaki Anno für den Manga wohl neu interpretiert habe. Davon war im ersten Band noch nichts zu spüren, der hält sich tatsächlich schon eher peinlich genau an die Anime-Vorlage, doch das ist gar nicht schlimm. Neueinsteiger*innen bekommen eine tolle Möglichkeit, Evangelion nachzuholen und Fans des Originals dürften sich an den hervorragenden Zeichnungen erfreuen. Alles in allem ein hervorragendes Paket!
von Felix Ritzmann
Yoshiyuki Sadamoto
Neon Genesis Evangelion – Perfect Edition 1
Aus dem Japanischen von Antje Bockel
Carlsen 2023
336 Seiten
18,00 Euro