Der Teufel im Gerichtshof
Große Theaterklassiker neu zu inszenieren ist immer mit einem Risiko verbunden. Viele Ideen wurden schon umgesetzt und vom Original soll auch nicht zu sehr abgewichen werden. Der schwierige Spagat zwischen Innovation und Textnähe, eigener Kreativität und eventuellen Erwartungen des Publikums gelingt Reinhardt Friese in seiner Inszenierung des bekannten Kleist-Klassikers Der zerbrochene Krug jedoch meisterhaft. Das Stück feierte am Samstag, den 20. Mai 2023 um 19:30 Uhr im Großen Haus des Theaters Hof eine sehr erfolgreiche Premiere.
Ein hinkendes Justizsystem
Genau das präsentiert sich sowohl wortwörtlich als auch im metaphorischen Sinne in Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug. Dorfrichter Adam (Dominique Bals) erwacht mühsam und mit mittelschweren Verletzungen an Kopf und Bein im Gerichtshaus. Wie er zu diesen Verletzungen gekommen ist und was der geliebte Tonkrug von Frau Marthe Rull (Stephanie Brehme) damit zu tun hat, eröffnet sich den Zuschauer*innen Stück für Stück in einem Gerichtsprozess zwischen zwei Streitparteien, in dem weit mehr als nur die Beschädigung eines Kruges verhandelt wird. Es geht um Lügen, menschliche Abgründe und eine gefährliche Art der Begierde. Kommt die Wahrheit schlussendlich trotzdem ans Licht?
Adams Fall
Sprachlich bleibt die Inszenierung sehr nah an der Originalfassung und übernimmt leicht gekürzt Kleists Worte. Klingt nach langweiligem Theater aus dem 19. Jahrhundert? Weit gefehlt! Das Stück bekommt eine Intensität durch das Zusammenspiel aus minimalistischer und sehr düster gehaltener Bühnenkulisse sowie dem schwarz-roten Farbschema der Kostüme. Die Schauspieler*innen treten in zeitgemäßer Alltagskleidung auf und schlagen auf diese Weise eine Brücke in die aktuelle Zeit. Der Fokus liegt vollkommen auf dem Stück und der eindringlichen Leistung der dauerhaft auf der Bühne präsenten Schauspieler*innen, was durch geringe musikalische Untermalung verstärkt wird.
„Solange die Jungfer schweigt, begreif ich nicht, mit welchem Recht ihr mich beschuldigt!“
Interessanterweise eröffnen sich damit auch neue Lesarten des kleistschen Textes, die die Inszenierung gekonnt umzusetzen weiß. Den inhaltlichen Gerichtsprozess begleiten moderne Debatten wie #metoo, Gendern und Sexismus am Arbeitsplatz. Diese werden zunächst nur im Negativbeispiel durch Richter Adam präsentiert – eine durchweg machtzentrierte männliche Perspektive. Mit der Besetzung des Gerichtsrats Walter durch eine weibliche Schauspielerin (Julia Leinweber) und der Adressierung Gerichtsrätin erhält die Handlung eine weitere Ebene, die dem Verlauf der heutigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen erstaunlich ähnelt. Doch auch die im Original schon schlummernde Frage nach Macht und Gerechtigkeit ist präsent.
„So nimm Gerechtigkeit denn deinen Lauf“
Wer spielt nicht nach den Regeln? Was geschah dem Krug? Die drängendste Frage nach der Aufklärung der Geschehnisse ist und bleibt die Frage nach der Gerechtigkeit. Diese wird letztendlich nicht gelöst. Zwischen Licht und Schatten wäscht eine Hand die andere, denn der gute Ruf muss bewahrt werden. Eve bleibt als Machtmissbrauchsopfer zurück und Richter Adam täuscht seinen Tod vor, wird für seine Taten also nicht belangt. „Ich spiele nicht nach den Regeln… Und Sie lieben das!“ ist Teil des starken Schlussmonologs von Richter Adam, welcher eine deutsche Übersetzung aus Kevin Spaceys „Let Me Be Frank“-Videos ist. Hier nimmt das Lustspiel – das ja eigentlich ein positives Ende hat – eine sehr düstere Wendung und lässt die Zuschauer*innen mit offenem Mund und einem unguten Gefühl der Teilschuld zurück.
Die Inszenierung des Theater Hofs ist ein kurzweiliges, intensives Erlebnis, welches die Menschen direkt anspricht und an ihre Kollegialität appelliert: Vor dem Offensichtlichen sollten wir nie die Augen verschließen.
„Wartet!… Jetzt, wo ich darüber nachdenke…Ihr habt mich nie wirklich sterben gesehen, nicht wahr?
Schlussfolgerungen können so trügerisch sein.“
Die nächsten Vorstellungen beeindrucken am 03., 11., 17., 28. und 30. Juni im Großen Haus.
von Lea Griesbach und Paula Heidenfelder