Elternschaft auf dem Schlachtfeld der Queerness
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Ein ungeborenes Kind, das eine queere Dreiecksbeziehung nach sich zieht. Das ist die Prämisse auf der Detransition, Baby von Torrey Peters beruht. Amy und Reese, zwei trans Frauen, wollen gemeinsam eine Familie. Ihre Beziehung geht jedoch in die Brüche und Amy detransitioniert, lebt wieder als Mann. Drei Jahre später führt Ames eine Affäre mit seiner Chefin Katrina und schwängert diese unerwartet. Als er Katrina erklärt, dass er von seiner eigenen Unfruchtbarkeit, aufgrund einer früherer Hormontherapie, ausging und sich damit zwangsläufig vor Katrina outet, fühlt sich diese hintergangen. Als geschiedene Frau kämpft sie bereits mit der Instabilität, die das Abweichen von ihrem vorgezeichneten Weg mit sich bringt und findet nun auch keinen Halt mehr in ihrer Beziehung zu Ames. Dieser will jedoch an Katrina und dem Kind festhalten, weiß aber, dass seine Transgeschlechtlichkeit es ihm nicht möglich macht, einfach „nur der Vater“ zu sein, den Katrina in ihm sieht. Seine Lösung: Das Kind gemeinsam mit Katrina und Reese aufzuziehen. Als er Reese das erste Mal seit der Trennung begegnet, um ihr das Angebot zu machen, so Reeses Kinderwunsch zu ermöglichen und gleichzeitig den queeren Zugang zur Elternschaft zu sichern, beginnt der vielschichtige Konflikt zwischen den dreien.
Ob „dieses ganze ‚wir ziehen zusammen ein Baby groß‘ […] doch nur eine besonders ausgeklügelte Form der Gentrifizierung von Queerness [ist]“ oder die Möglichkeit für eine Familie, losgelöst von Heteronormativität, bleibt die grundlegende Frage der sich Peters auf zwei Zeitlinien, vor und nach der Zeugung, sowie aus drei Erzählperspektiven widmet.
Ausleben der eigenen Geschlechtsidentität – Befreiung oder erneutes Gefängnis?
Reese ist gegeißelt von ihrem sexuellen Verlangen und den Entscheidungen, die sie deshalb trifft. Sie verachtet trans Frauen, die Menschen verachten, deren Kink die Transgeschlechtlichkeit ihrer Sexpartner*innen ist. Laut Reese zeugt es „nur von prüder Unerfahrenheit zu glauben, zum Fetisch und zum Objekt gemacht zu werden wäre im Bett nicht das Allergeilste“. Deshalb stürzt sie sich in Affären mit cis Männern, die mit ihr eine Fantasie ausleben, aber immer im Verborgenen. Reese verwendet diese ihr zugewendete Attraktion als Validierung ihres Geschlechts, „um sich […] zu bestätigen, wie sie sich selbst als Frau sah: als zartes, hilfloses […] Wesen“. Dabei geht sie so weit, dass sie eine Ohrfeige von einem solchen Liebhaber bewusst zulässt, da sie „ihr ganzes Leben lang […] gesehen [hatte], wie sich cis Frauen ihre Weiblichkeit durch männliche Gewalt bestätigen ließen“. Reeses Kampf mit Femininität gipfelt in der schmerzhaften Sehnsucht Mutter zu sein, denn sie „[…] will dieselbe Bestätigung, die andere Mütter haben. Das Gefühl, eine Frau zu sein, die ihren Platz in einer Familie hat“. Dennoch, „diese Bestätigung ist bei cis Frauen okay, bei [ihr] wird so getan, als wäre es pervers“. Durch Reeses transgeschlechtliche Linse öffnet Peters eine grundlegend intersektional feministische Diskussion zu Mutterschaft. Diese wird erweitert durch die sich durch den Roman ziehende und titelgebende Kontroverse der Detransition Ames’. Die Gründe sind erschütternd und aufbringend zugleich. Für Ames steht fest: „Ich bin trans, aber ich muss nicht trans leben“. Als Katrina sich in diesem Gefecht der Queerness wiederfindet, versucht sie ihren neuen Weg zu finden, liebäugelt mit Queerness als identitätsstiftend und muss letztendlich ihren eigenen Hoffnungen gerecht werden.
Provokation par excellence
Peters zwingt die Lesenden sich mit dem Unbehagen und dem Schmerz von Lebensrealitäten, die nicht der Heteronormativität entsprechen, auseinanderzusetzen. Sie provoziert dabei bewusst sowie gekonnt mit Offenbarungen, die das Innerste der Charaktere darlegen, abseits jeglicher politischen Korrektheit. Detransition, Baby zeichnet das Changieren zwischen Protagonist*innen aus, deren Motivationen und Handlungen die Leser*innenschaft herausfordern und zeitgleich zu Verständnis und Erkenntnis bringen.
Eine Gratwanderung, die Peters in ihrem Debütroman mit Bravour meistert.
von Michaela Minder
Torrey Peters
Detransition, Baby
Aus dem Englischen von Nicole Seifert und Frank Sievers
Ullstein Verlag 2022
464 Seiten
24,00 Euro