Sekt, Pommes und Johann
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Content Warning/Inhaltswarnung: Selbstverletzung, Suizidversuch
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Henri Maximilian Jakobs erzählt in seinem Debütroman die Geschichte von Johann und seiner Transition. Aufgebaut wie ein Coming-of-Age Roman, begleitet man als Leser*in Johann von einem Urlaub kurz nach dem Abitur, über eine Schauspielausbildung in der bayerischen Provinz bis zum Leben in Berlin. Die verschiedenen Orte stehen für verschiedene Stationen auf Johanns Weg zu sich selbst – immer begleitet von Menschen, die sich entscheidend auf seine Entwicklung auswirken. Seien es die beiden Drag Queens in einem Urlaubsresort, ein Dozent an der Schauspielschule, erste Liebesinteressen, sein Chef beim Imbiss Start-Up, die beste Freundin oder ein neu gewonnener Freund. Die Beziehungen zu den einzelnen Personen gestalten sich divers und nicht immer durchgehend positiv, aber sie bringen Johann alle ein Stück näher zu sich selbst.
Raus aus tiefer Traurigkeit und rein in deutsche Bürokratie
„Ich komme mir vor wie zwei übereinandergelegte Schablonen, die zusammen keinen Sinn ergeben. Innen und Außen. Sie stimmen nicht überein und ich glaube, deswegen bin ich so unglücklich“. Das Unbehagen, die tiefe Traurigkeit und das an Selbsthass grenzende Selbstbild aufgrund des eigenen Körpers, wird besonders eindrücklich durch die Ich-Perspektive und den harten Umgang Johanns mit sich selbst dargestellt. Einige Szenen sind so schmerzhaft, dass man unmittelbar mit Johann mitleidet. Besonders die negativen inneren Monologe und die Selbstverletzung zum Suizidversuch haben es in sich und wären mit Contentwarnungen zu versehen gewesen. Johann kämpft mit sich selbst und seinem Äußeren sowie dessen Außenwirkung, mit dem er immer wieder konfrontiert wird, immer wieder die Schablonen nicht kongruent bekommt. Als er für sein Empfinden die Erklärung Transgeschlechtlichkeit erkennt und beschließt zu transitionieren, ist man als Leser*in erleichtert und hofft, dass nun endlich alles besser wird. Darauf folgt allerdings eine harte Ernüchterung. Denn um auch die äußere Schablone an die innere anzupassen, ist Johann den deutschen Richtlinien ausgeliefert und wird durch die Transition drangsaliert. Stellen, die sich nicht zuständig fühlen wollen, mangelnde Kapazitäten und unsensible Ignoranz prägen Johanns Transition, die eigentlich ein Heimkommen zu sich selbst sein sollte und keine Aneinanderreihung von endlos erscheinenden Hindernissen. Aber Johann schafft es. Gute sechs Jahre braucht es, aber er schafft es und ist endlich der, der er immer war.
Ein Spracherlebnis, auf das man sich einlassen muss
Humor wird von Johann als Coping-Mechanismus verwendet, um mit der Situation fertig zu werden, denn „es ist nicht lustig. Aber Humor scheint mir der einzige Gegner, der es mit meiner Angst und Verwundbarkeit aufnehmen kann. Er ist ein Reflex. So traurig sein, wie die Dinge scheiße sind, geht gar nicht“. In der Konsequenz kommt dieser Humor oft brutal daher und kann für die Lesenden zur Herausforderung werden. Besonders die vielen sprachlichen Bilder wirken teilweise etwas zu gewollt. Der mitunter abgehackte Erzählstil bedarf einer Eingewöhnung, aber Jakobs erzählt Johanns Geschichte immer eindringlich, schonungslos und ehrlich.
von Michaela Minder
Henri Maximilian Jakobs
Paradiesische Zustände
Kiepenheuer & Witsch 2023
352 Seiten
22,00 Euro