Joséphine Nicolas – Das Haus am Meeresufer
Joséphine Nicolas – Das Haus am Meeresufer

Joséphine Nicolas – Das Haus am Meeresufer

Alors, Eileen Gray?

„Weil alles um mich herum lärmte, war ich still.
Dachte in leisen Farben, oft in schwarz.
Ein sichtbares Schweigen.“

Diese ersten Sätze der neuen Romanbiografie von Joséphine Nicolas sind tonangebend. Jedes ihrer Worte scheint wohlplatziert und mit äußerster Sorgfalt gewählt. Ihr atmosphärischer Stil, den sie bereits in ihrem Debütroman Tage mit Gatsby erprobte, erweist sich als beständig.

Fakt und Fiktion

Nicolas hat sich in ihrem zweiten Roman der irischen Designerin und Architektin Eileen Gray angenommen. Wer war diese progressive Künstlerin? Woher nahm sie ihre Inspiration? Wie lebte und wen liebte sie? Diesen Fragen geht Das Haus am Meeresufer nach und zeichnet so ein Porträt über eine ruhige, introvertierte Frau, aber auch über die lauten, haltlosen 1920er Jahre in Paris und an der französischen Riviera. Obwohl der Roman durchzogen ist von Ellipsen, die zuweilen ihren anfänglichen Charme verlieren, hat Nicolas sprachlich erneut Können bewiesen. Ihre Sätze sind präzise, fein, literarisch-elaboriert und muten stellenweise barock an, so metaphernreich und üppig sind sie.

Sie, Eileen Gray, amtiert als Ich-Erzählerin, wenngleich, ganz subjektiv, ein personaler Erzähler wünschenswert gewesen wäre. Gemeinsam durchstreifen wir französische Nächte, folgen ihren Gedanken und ihrer Geliebten, Damia. Grays Vergangenheit war weiblich, ihre Zukunft ist männlich. Jean Badovici wird der Mann an ihrer Seite. „Er war voller Elan, empfand zutiefst, schien tatsächlich die Welt aus den Angeln heben zu wollen.“ Sie ist hingerissen von seinem Charme, inspiriert von seinen Worten, er erstaunt über ihr Talent. Badovici ist Grays Schicksal. Ihm erbaut die Autodidaktin ein Haus am Meeresufer: die Villa E.1027, eine architektonische Liebeserklärung. Und schließlich beginnt die Fassade zu bröckeln.

Eileen Gray hat sich in einer patriarchalen Welt als Frau und Architektin behauptet. Das literarische Denkmal, das ihr Joséphine Nicolas mit ihrer Romanbiografie gesetzt hat, ist stimmungsvoll, thematisch gerade für die heißen Sommertage zu empfehlen. Anders als in Nicolas’ Debüt operiert der ausladende, mitunter unvollständige Stil dieses Mal jedoch bisweilen als Barriere.

von Luisa Bader

Cover Das Haus am Meeresufer

Joséphine Nicolas
Das Haus am Meeresufer
Dumont 2023
416 Seiten
23,00 Euro

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