Der romantischste der romantischen Künstler
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„Eher so der romantische Typ.“ Dieses Wortspiels bedienen sich Florian Illies, seines Zeichens Kunsthistoriker, Journalist, Schriftsteller der Massen, ehemaliger Auktionator sowie Verleger, und Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, in ihrem gemeinsamen Kunst-Podcast Augen zu, um den romantischsten der romantischen Künstler zu beschreiben: Caspar David Friedrich. Kauzig war er, dieser Friedrich, etwas eigen, introvertiert, patriotisch, gläubig, treu, depressiv. Und lange Zeit komplett vergessen. Heute ja kaum vorstellbar. 2024 jährt sich sein Geburtstag zum 250ten Mal. Der von Friedrich begeisterte Florian Illies liefert zu diesem Jubiläum ein ganzes Buch über den Maler als Menschen, den Stellenwert seiner Werke in der Kunstgeschichte und die (nicht selten abenteuerliche) Reise seiner beeindruckenden Gemälde, die bis ins 21. Jahrhundert reicht. Zauber der Stille heißt es und ja, es verzaubert, ganz leise, ganz still.
Ein Mann – eine Vision
Florian Illies sprengt jegliche Chronologie, springt in den Jahrhunderten hin und her, verzichtet (leider) gänzlich auf Fußnoten, schreibt wie gewohnt im Präsens. Er legt alles, was er hat, in seine Worte. Und über Caspar David Friedrich weiß Illies viel Anrührendes zu berichten. Friedrich, der mit 13 Jahren seinen kleinen Bruder verlor, als dieser ihm heldenhaft das Leben rettete, der erst spät heiratete, besser mit Kindern umgehen konnte als mit Erwachsenen, der ganz unbedingt die Anerkennung und Wertschätzung seines Zeitgenossen Goethes suchte und immer wieder Schwierigkeiten hatte, Käufer für seine Bilder zu finden – dieser Friedrich war ein Eremit mit einer außergewöhnlichen Gabe. Nur Menschen, die konnte er nicht gut malen, weshalb sich so viele Rückenfiguren in seinem Werk finden, die das Handicap verschleiern. Was Illies aber im Besonderen deutlich macht: Caspar David Friedrich war nicht der naturalistische Maler, für den ihn viele halten. Vielmehr besteht seine erstaunliche Innovation darin, dass er in der Stille und Zurückgezogenheit seines Ateliers Collagen aus in der Natur Gesehenem bastelte. In seinem Kopf erfand er so eine neue, ja ganz eigene Natur, die er dann mit einem Sinn fürs Detail abbildete. Bezeichnenderweise ist es gerade Florian Illies selbst, der in der Friedrich’schen Tradition steht und mit seinen Sachbüchern, Buch für Buch, geschriebene Collagen zum Besten gibt und einen Riesenerfolg damit feiert. Also doch: Zwei Männer – eine Vision.
Ein Kunstbuch ohne Kunst
Nun aber: Wo ist die Kunst? Jedem der großen Kapitel (aufgeteilt nach den Elementen) ist eines der Friedrich’schen Gemälde vorangestellt – genauer: „Das brennende Neubrandenburg“, „Das Eismeer“, „Kreidefelsen auf Rügen“ und „Der Wanderer über dem Nebelmeer“. Aber wo ist die „Frau am Fenster“, „Der Watzmann“, „Das große Gehege“? Und insbesondere die unbekannten Gemälde, auf die Illies aufmerksam macht, die man aber eben nicht direkt vor Augen hat, „Nebelschwaden“ etwa oder „Ziehende Wolken“? So googelt man sich neben der Lektüre notwendigerweise durch das Werk Caspar David Friedrichs, um auch verstehen zu können, was da gerade so nonchalant angepriesen wird. Doch gerade bei einem Autor wie Florian Illies, der ja den Spiegel-Bestseller-Aufkleber schon auf seinen Büchern hat, bevor sie überhaupt erschienen sind, fragt man sich: Hätten die Abdrucke der erwähnten Gemälde nicht eine unabdingbare Notwendigkeit sein müssen? So ist Zauber der Stille zwar ein faszinierendes Kunstbuch, das aber ohne Kunst daherkommt. In den Worten Florian Illies’: „Muss man erst mal hinbekommen.“ Und trotzdem: Zur Einstimmung auf das Friedrich-Jahr 2024 ist das kurzweilige und anekdotenreiche Kunst- und Lebensporträt auch so zu empfehlen. Weil man ihm, diesem so entspannten Geschichtenerzähler, einfach alles verzeiht.
von Luisa Bader
Florian Illies
Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten
S. Fischer 2023
256 Seiten
25,00 Euro