Das Zuhause zwischen den Welten
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An einem entlegenen Flecken Erde, zwischen zwei Naturmächten eingeschlossen – den Bergen auf der einen Seite und dem Meer auf der anderen – befindet sich die sagenumwobene Kleinstadt Fukiage, Geburtsort der Zwillingsschwestern Mimi und Kodachi. Fukiage ist, so verschlafen es hier auf den ersten Blick auch wirken mag, in jeder Hinsicht Ein seltsamer Ort. Denn Meer und Berge sind nicht die einzigen Welten, die dort aufeinandertreffen.
Banana Yoshimotos Roman, bereits 2017 in Japan erschienen, ist ein Werk, welches nur so vor Fantasie sprießt und wo eine Märchengestalt die nächste jagt. Im Zentrum der Handlung steht die junge Mimi, welche nach dem plötzlichen Verschwinden ihrer Schwester beschließt, in ihren traumabelasteten Heimatort zurückzukehren, um nach ihr zu suchen. Doch dort wird Mimis bisheriges Leben komplett auf den Kopf gestellt, als sie erfährt, dass ihre Mutter, seit Jahren einer unerklärlichen Schlafkrankheit wegen im Koma liegend, ursprünglich aus einer anderen Welt stammt. Als wäre dies nicht schon genug, wird der jungen Frau auch noch offenbart, dass sich ihre Schwester nun in eben diese Welt aufgemacht hätte, um ihre Mutter zurück zu den Lebenden zu holen. Durch eine Reihe seltsamer Begegnungen mit schrulligen Bewohner*innen der Stadt wird Mimi nach und nach klar, dass an den Legenden über Fukiage mehr dran zu sein scheint als geglaubt und es an ihr und Kodachi liegt, die Rätsel, um ihre Herkunft zu lüften.
Zu viel des Guten
Ein seltsamer Ort bietet ein regelrechtes Büffet jeglicher Fantasy-Elemente an, die man sich vorstellen kann. Leider werden viele davon nur in zu kleinen Happen serviert und sorgen durch ihre Geschmacksvermischung schnell für Bauchschmerzen. Yoshimoto, bekannt für ihre surrealen, das Unterbewusstsein ansprechenden Geschichten über die Gefühlswelten junger Menschen, demonstriert mit diesem Roman, dass zu viele Ideen doch meistens den Brei verderben und gerade in diesem Buch weniger deutlich mehr gewesen wäre. Das ständige Auftauchen genrevermischender Figuren sowie sich im Kreis drehende Gespräche und Gedanken erschöpfen den*die Leser*in schnell und bieten kaum die Möglichkeit, sich mit den tatsächlich spannenden Elementen des Romans auseinanderzusetzen. Zwar verwendet Yoshimoto auch in diesem Buch ihren ansonsten immer begeisternden legeren, weltenöffnenden Schreibstil, aber kommt dieser hier wenig zur Geltung, was sehr schade ist. Trotz lobenswerter Ambitionen der Autorin ist Ein seltsamer Ort der schwächste Roman der andererseits unglaublich talentierten Yoshimoto.
von Amira Hajredini
Banana Yoshimoto
Ein seltsamer Ort
Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns
Diogenes 2023
307 Seiten
25,00 Euro