Nikki Marmery – Mein Name ist Lilith
Nikki Marmery – Mein Name ist Lilith

Nikki Marmery – Mein Name ist Lilith

Alles auf Anfang

CW: blasphemische Ideen, Gewalt, Vergewaltigung

„Vielleicht hat man dir erzählt, ich sei verbannt worden, weil ich in meiner Wut geflucht und Seinen Namen ausgesprochen hätte. Doch so war das nicht.“

Die erste Frau stand Adam ebenbürtig zur Seite, doch sie wurde aus dem Garten Eden vertrieben, als sie sich ihrem Mann nicht unterordnen wollte. Totgeschwiegen, verleumdet und verbannt: Ihr Name ist Lilith. Ersetzt wurde sie durch die gefügige Eva, ein tumbes Dummchen, erschaffen aus der Rippe Adams. Damit ist der Niedergang eines ausgewogenen Prinzips zwischen den beiden Geschlechtern eingeläutet. Einst nämlich gab es auch neben Jahwe eine gleichberechtigte Partnerin, die Ur-Göttin Asherah, Liliths Mutter. Von ihr fehlt nun aber jede Spur, denn der herrische Gott duldet niemanden neben sich. Lilith aber hat vom Baum der Erkenntnis genascht und weiß um die ursprüngliche Stärke der Weiblichkeit. So reist sie als Rächerin unterdrückter Frauen durch sechs Jahrtausende, um Asherah zu finden und die paradiesische Harmonie wiederherzustellen. 

In der Ich-Perspektive bietet die Protagonistin Lilith in Nikki Marmerys außergewöhnlicher Melange aus biblischer Fiktion, Mythos und Historienroman eine alternative weibliche Sicht auf die Schöpfung. Zwar wird Lilith als Verführerin und Sünderin gebrandmarkt, doch mit Unterstützung des gefallenen Engels Samael setzt sie ihren Weg zur Gerechtigkeit unbeirrt fort. Dabei begegnet ihr und den Lesern alttestamentarisches Personal wie Noahs Frau Norea und Maria Magdalena aus dem Neuen Testament, hier Marjam genannt. 

Die erste Frau als empowernde Dämonin und Gott als alter weißer Mann

Mein Name ist Lilith reiht sich ein in feministische Mythologie-Retellings wie Madeleine Millers Circe oder Constanza Casatis Klytaimnestra. Statt der antiken Mythologie hat Marmery sich allerdings auf das andere Fundament der abendländischen Kultur verlegt: den christlichen Glauben. Das Christentum und das System Kirche werden hier als patriarchale Strukturen gedeutet, denen eine weibliche Wendung von Beginn an notgetan hätte. Damit wird mit sämtlichen Glaubensdogmen gebrochen, was gläubige Leser verstören könnte. So sollte man ihr Buch eher unter der Prämisse künstlerischer Freiheit als Gedankenexperiment eines ‚Was wäre, wenn‘ lesen, nicht als theologisch-aktivistisches Manifest.

Es mit der Bibel als Konkurrenztext aufzunehmen, erfordert Mut. Dieser radikale Ritt durch die judäo-christliche Mythologie ist ein blasphemisches Unterfangen, das mich in seiner kreativen Ausgangsidee faszinierte. Dass Nikki Marmerys (und Liliths) feministische Mission und Passion in jeder Zeile spürbar ist, geht allerdings auf Kosten literarischer Güte. Das Buch möchte viel, sprachlich wie inhaltlich. Liliths Zeitreise wird in fünf Kapiteln geschildert, sie nimmt den Anfang in der mythischen Zeit des Buches Genesis und endet in der Gegenwart. Der Sprachduktus verbleibt allerdings in einem gehobenen, antikisierenden Stil, der sich bisweilen künstlich geschwollen anhört und leider oft unfreiwillig komisch wirkt. Die ausladenden Schilderungen von Sujets ließen bildgewaltige Panoramen vor meinem inneren Auge erstehen, hemmen den Lesefluss aber stellenweise. Ohnehin hätte der Erzählung für die Handlungsführung eine Straffung nicht geschadet, hier hätte Marmery nicht biblische Länge nachahmen müssen.

Lektüre als Kampf

Ich kämpfte mit Lilith, wie das Buch im englischen Original schlicht heißt. Nicht, weil ich mich als Geschlechtsgenossin im Kampf gegen das Patriarchat mit ihr identifizierte; ich trug viel eher bei der Lektüre einen inneren Kampf mit mir aus. Auf der einen Seite sah ich so viel Potential in den Einfällen der Autorin (es ist fantastisch, wie Adam als erster Mainsplainer der Menschheitsgeschichte dargestellt wird); auf der anderen Seite ist die Umsetzung an vielen Stellen problematisch, etwa in den allzu häufig auftretenden, allzu ausführlichen erotischen Szenen. Wenngleich ich hier überblättern konnte, war das Vorankommen im Buch mühsam. 

„Was ist da am Ende? Eine bessere Welt. Eine bessere Geschichte.“

Großen Respekt verdient die Autorin für die umfangreiche Recherchearbeit, die sie für das Buch leistete. In dem lesenswerten Nachwort erläutert sie die Quellen, die sie zurate gezogen hat und die Gedanken, die ihrer Konzeption zugrunde liegen. Es ist zwar nicht notwendig, den hebräischen Lilith-Mythos zu kennen, um der Handlung folgen zu können. Um Marmerys Leistung in dessen literarischen Ausgestaltung zu würdigen, ist es für Leser aber ratsam, am Ende, mit dem Nachwort, zu beginnen. So gelingt das Verständnis der Welt, die in “Mein Name ist Lilith” entworfen wird, besser. Gleichwohl, ob es eine bessere Geschichte wird… Es bräuchte eine Alternativerzählung zur Alternativerzählung, um vollends zu überzeugen. 

von Jana Paulina Lobe

Nikki Marmery
Mein Name ist Lilith. Was uns verschwiegen wurde: die rebellische Erzählung des christlichen Mythos 
Aus dem Englischen von Sabine Herting 
S. FISCHER 2024
464 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-949465-11-6

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