„It‘s fiction.“
„But it has to come from somewhere, doesn‘t it.”
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Max, gespielt von Ruaridh Mollica, strebt nach seinem Durchbruch in der Literaturszene – noch arbeitet der 24-Jährige bei einem Literaturmagazin, doch seine Kurzgeschichten bringen ihm immer mehr Erfolg. Darin erzählt er unter dem Pseudonym Sebastian von seinen Erlebnissen als Escort. Das Doppelleben zehrt an ihm und fordert schließlich seinen Preis.
„You can ask me anything.”
Als ihm ein Buchvertrag in Aussicht gestellt wird, wird Max mit den Herausforderungen der Autofiktion konfrontiert. Um sich von den Kurzgeschichten abzugrenzen, sich zu steigern und neue Inhalte besprechen zu können, weicht er von der bisherigen Klientel einzelner älterer Männer ab und lässt sich auf neue Erfahrungen ein. Diese hinterlassen jedoch ihre Spuren und die Fassade seines Doppellebens beginnt zu bröckeln. Für den Protagonisten selbst verschwimmen die Grenzen und die Trennung zwischen seinem Leben als Max und dem als Sebastian wird immer angespannter.
„You have the right to keep some things for yourself.”
Die Entwicklung des Plots ist recht vorhersehbar, mindert aber die Aussagekraft und Wirkung der Klimax nicht. Wie es dem Protagonisten gelingt, Max und Sebastian zu vereinen, seiner Stimme Gehör zu verschaffen, und das hoffnungsvolle, befriedende Ende sind wenig überraschend – wie realistisch das ist, sei dahingestellt. Dennoch verklärt Mäkelä Sexarbeit nicht und verdeutlicht in mehreren Situationen deren Prekarität. Der finnisch-britische Regisseur schafft es, entscheidende Mechanismen in Nuancen, aber ausdrucksvoll zu transportieren. Eine Sequenz ohne Dialog im Fitnessstudio und der prüfende Blick nackt vor dem Spiegel beispielsweise verdeutlichen auf leise und dennoch eindringliche Art den hohen Stellenwert des Äußeren, der Ästhetik, die primär über den Erfolg bei (potenziellen) Kunden entscheidet. Diese subtile und dennoch unterstrichene Dramaturgie zieht sich durch den gesamten Film. Weniger Dialog, mehrere Close-ups, die die inneren Kämpfe des Protagonisten einfangen und dadurch eine Nähe zum*zur Zuschauer*in forcieren. Besonders eindrucksvoll kommt hier auch das Motiv der urbanen Einsamkeit zur Geltung. Der vorherrschende Bezug zur Sexarbeit lässt vermuten, dass sich der Film in den Sexszenen verliert und eine voyeuristische Linse auflegt. Davor bewahrt Mäkela Sebastian jedoch. Nicht nur inhaltlich wird das Bild von Sexarbeit nicht karikiert, auch die visuelle Dimension verhandelt sie realistisch, ohne sie auszuschlachten – die Szenen sind explizit, aber nicht reißerisch pornografisch.
Der stärkste Erzählstrang, der am längsten nachhallt, rückt die Motivation der Kunden in den Fokus. Speziell mit Nicholas (Jonathan Hyde) wird vom klassischen Bild des Kunden abgewichen und eine innigere Beziehung, die Auswirkungen auf beiden Seiten und Spiegel mit sich bringt, gesponnen: „You remind me of someone. Thirty years ago, when he was your age. Something about the way you laugh.”
Die Queerfilmnacht im Odeon kann nur wieder empfohlen werden: Immer am dritten Donnerstag des Monats – im Januar folgt On the Go von Julia de Castro und Maria Gisèle Royo.
von Michaela Minder
Mikko Mäkelä
Sebastian
Englisch-französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
UK 2023
111 Minuten
FSK 16