Hengameh Yaghoobifarah – Schwindel
Hengameh Yaghoobifarah – Schwindel

Hengameh Yaghoobifarah – Schwindel

„Ist es nicht bemerkenswert, wie wenig Wohlwollen für eine Person übrig bleibt, sobald das Begehren verblasst?“

Hengameh Yaghoobifarahs zweiter Roman erzählt eine Geschichte über queeres Begehren, die Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen und Verantwortung.

Freitagabend ist Date Night – zumindest für Ava und Robin. Sie kommen sich näher, es läuft gut. Doch unerwarteter Besuch setzt dem ein Ende. Delia klingelt, um deren vergessenes Handy – und Klarheit über Avas Intention – abzuholen. Silvia taucht auf, um Ava nach einem Ghosting zur Rede zu stellen. Ava ist mit dem Aufeinandertreffen der drei überfordert und flieht vor der Verantwortung aufs Dach des Hochhauses. Als alle drei hinterherrennen, die Tür ins Schloss fällt und niemand einen Schlüssel hat, ist das Vakuum für Yaghoobifarahs Analyse geschaffen.

In vier Erzählperspektiven, die alle den individuellen Charakter stilistisch und inhaltlich dezidiert transportieren, setzt sich Yaghoobifarah mit den Diskrepanzen zwischenmenschlicher Beziehungen auseinander. Im Vordergrund stehen die Bedürfnisse und Anspruchshaltungen in sexuellen bzw. romantischen Beziehungen. Subtil, aber effektiv wird auch das Verhältnis der drei Konkurrent*innen um Ava zueinander zur Analyseebene für Identität und Queerness.

„Die Hölle, das sind die anderen.“
Die Hölle, das ist man selbst.

Die Stärke des Romans liegt in der Herausarbeitung von Diskursen und Mechanismen, die sich in der Auseinandersetzung der vier Protagonist*innen immer weiter enthüllen und den Roman von reiner Unterhaltung zur Reflektionslektüre erweitern. Zum einen fängt Yaghoobifarah gekonnt die Politiken von Begehren im Kontext von Transgeschlechtlichkeit ein. Zum anderen wird der Generationenkonflikt innerhalb der queeren Community, insbesondere des lesbischen Aktivismus, illustriert. Die im Verhältnis ältere Silvia dient als Projektionsfläche für einen Disconnect durch gegenseitiges Unverständnis und Anspruchshaltungen, die trennen statt zu einen: „In ihrer Generation sind viele so verbittert und selbstgerecht, dass es keinen Spaß mehr macht, mit ihnen Zeit zu verbringen. Sie kommen nicht darauf klar, als einst wichtige Figuren einer Bewegung an Relevanz verloren zu haben. Sie kriegen den Anschluss nicht mehr, weil sie gar nicht erst versucht haben, ihn zu halten. Aus Arroganz.“

Der Roman scheut nicht vor unlikeable characters und bildet authentisch queeres Dating im Heute ab. Einzige Kritik: der Plottwist wirkt auf den ersten Blick etwas gewollt – die Erzählung hätte auch ohne ihn genug Aussagekraft –, auf den zweiten Blick lässt sich ihm eine Kontextualisierung und ein Verweisen auf andere Konflikte der queeren Community abgewinnen.

von Michaela Minder

Hengameh Yaghoobifarah
Schwindel
Blumenbar 2024
240 Seiten
23,00 Euro ISBN 9783351051235

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