„Die Feier der Niedertracht“?
Eingängige Musik mit deutlichen Botschaften, ein Ganove, eine Hochzeit, ein Freudenhaus und zwischen all dem grenzenlose Geldgier, Doppelmoral und Verdorbenheit – das alles macht die Dreigroschenoper so unverwechselbar. Bertolt Brechts weltberühmtes Stück feierte am 18.01.2025 im Nürnberger Staatstheater unter Jens-Daniel Herzogs Regie eine berauschende Premiere.
Der Dramatiker Bertolt Brecht, einer der wesentlichen Vertreter der Neuen Sachlichkeit, brachte sein wohl bekanntestes Stück, die Dreigroschenoper, 1928 in Berlin zum ersten Mal auf die Bühne. Vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Kurt Weill gilt das Stück seit jeher als Publikumsliebling, der damals wie heute eine Zuschauerschaft verschiedensten Alters fasziniert.
Die in drei Akte aufgeteilte Handlung der Dreigroschenoper ist simpel und dennoch mitreißend: Polly Peachum verliebt sich, ganz zum Leidwesen der Eltern Jonathan und Celia, in einen richtigen Schurken, welcher weithin als Mackie (Macheath) Messer bekannt ist. Pollys Vater steht dabei als Kopf der Bettler*innen in London vehement auf einer anderen – aber Mackies Metier doch gar nicht so unähnlichen – Seite…
Nach ihrer heimlichen Hochzeit im Pferdestall erhalten Mackie und Polly Drohungen von Jonathan Peachum (Michael von Au), der seinen unliebsamen Schwiegersohn in ernsthafte Schwierigkeiten bringen möchte. Dazu besucht Pollys Mutter (Lisa Mies) Spelunken-Jenny – verkörpert von Corinna Scheurle, die sich als eines der größten Gesangstalente der Inszenierung hervortut – in Mackies Stamm-Bordell, wo er auch letztlich festgenommen wird. Es folgen einige ironisch überspitzte Eifersuchtsszenen zwischen Polly und Lucy (Chloë Morgan), der Tochter des Polizeichefs Tiger Brown. Bei diesen Highlights des Stückes glänzt Morgan sowohl schauspielerisch als auch gesanglich, während Hans Kittelmann als Tiger Brown eher farblos zurückbleibt. Dann naht schließlich Mackies Todestag und alle Beteiligten wohnen seiner letzten Stunde bei… Soll das wirklich das Ende des geliebt-verhassten Meister-Ganoven sein?
Schon die Einführung aller Charaktere holt das Publikum direkt ins Geschehen, wenn gemeinsam der Ohrwurm „Die Moritat von Mackie Messer“ gesungen wird. Der weitgehend dynamisch spielende Cast¹ erzählt die Hauptstationen der bekannten Geschichte durch den Vortrag von Kurt Weills Liedern, die Brechts episches Theater so unverwechselbar machen. Die gnadenlos ehrlichen und oft frechen Texte werden von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter der musikalischen Leitung von Max Renne so wunderbar begleitet, dass allein das Zuhören ein wahrer Genuss ist.
Die Nähe zum Dramentext springt Kenner*innen direkt ins Auge, man ist jedoch trotzdem jedes Mal aufs Neue überrascht-begeistert von den Wendungen und den übermittelten Emotionen des Stücks. Im Zusammenspiel von Text und Musik liegt die Unverwechselbarkeit der Dreigroschenoper. Inga Krischke legt als Polly ein beeindruckendes Selbstbewusstsein an den Tag und fasziniert ebenso mit ihrem Gesang. Sie beweist sich Stück für Stück als autonome Frau und emanzipiert sich im Zuge dessen von Mackie, gespielt von Nicolas Fredrick Djuren. Der hingegen wird klassisch als skrupelloser – wenn auch mitunter gelangweilter – Gauner dargestellt, der keine Probleme kennt und durch seine Eitelkeit besonders viel Spaß beim Zuschauen macht.
Dennoch hätten die Charaktere an der ein oder anderen Stelle noch mehr aus dem Korsett der an sie gerichteten Erwartungen ausbrechen dürfen und in einer vorwiegend schön anzusehenden und -hörenden Oper auch frechere, drastischere Momente unterbringen können und vielleicht müssen.
Dafür stellt das Bühnenbild ein Highlight des Stückes dar. Dieses besteht aus einem großen, in vier Szenerien unterteilten, drehbaren Rad, welches die Schauspielenden mittels eines roten Hebels scheinbar immer wieder in Bewegung setzen. Das geschickt eingebettete Spiel mit dem Hebel kulminiert darin, dass Macheath im Gefängnis angekettet mehrere Umdrehungen des Rads mitmachen muss und dabei auch kopfüber hängend weiterhin souverän seine Gesangseinlagen vorträgt. Die treffend gewählte Referenz zu Fortunas Rad des Lebens, welches einen erst emporhebt, aber alsbald wieder ins Unglück stürzt, ist nicht zu übersehen. Das Bühnenbild hat aber noch mehr zu bieten: Zum Ende hin wird nämlich der stoffbehangene Teil des Rads heruntergerissen, wodurch die Stützen der Gesellschaft, die Brecht in seiner Dreigroschenoper so schonungslos offenlegt, sichtbar werden. Hier wird auch die Brücke zur heutigen Gesellschaft stilsicher geschlagen.
Die Kostüme bleiben wie die Inszenierung insgesamt eher klassisch, wirken dadurch aber uninspiriert; hier wäre noch viel Potential nach oben gewesen. Dafür begeistern charmante Einlagen wie der Auftritt eines steppenden Pferdes, welche deutlich vom Publikum goutiert wurden und zusätzlich einer zu starken Immersion vorbeugen. Dieser Effekt wird auch schon ganz am Anfang der Inszenierung genutzt, wenn die Schauspielenden in Parkett und Rängen kleine Popcorntüten verteilen, welche sehr freudig angenommen wurden.
Die Dreigroschenoper spricht ohne Umwege die Bereiche des menschlichen Daseins an, die eigentlich nicht salonfähig sind. Sie lässt sich nicht den Mund verbieten und berührt durch ungefilterte Gedanken und Gefühle. So werden die Zuschauer*innen aufgefordert, ganz ohne den gewöhnlichen Abstand darüber nachzudenken, wer eigentlich wen schlecht macht: die Welt uns Menschen oder umgekehrt? Es geht um Machtspielchen, ja, aber vor allem auch um die Frage nach dem Warum und weiter um den Versuch, trotz aller Hierarchien miteinander auszukommen. Das klassische Setting und die an Stellen vermisste Nachdrücklichkeit machen eine Übertragung auf unser Leben zwar etwas schwieriger, aber doch nicht unmöglich.
Die aktuelle Inszenierung im Nürnberger Staatstheater ist nicht nur, aber gerade auch für Fans von Brecht und Weill sehenswert – auch wenn die Niedertracht noch ein wenig mehr zelebriert werden dürfte. Das Leben mit solcher Hingabe zu feiern, aber dennoch kritisch zu sein und nachdenklich zu machen, das ist etwas, was dieses Stück besser als viele andere beherrscht.
Die Dreigroschenoper wird wieder am 27.01., 05.02., 08.02., 14.02. und 16.02. sowie bis in den Juni hinein mehrmals monatlich aufgeführt. Genaue Termine entnehmen Sie bitte folgendem Link: Die Dreigroschenoper | Staatstheater Nürnberg
von Lavinia Richter und Theresia Seisenberger
Wir möchten an dieser Stelle auch auf die Möglichkeit des U27-Tickets verweisen, das immer eine Woche vor dem Spieltag für nur 11 Euro erhältlich ist. Genaueres unter: Ermäßigungen | Staatstheater Nürnberg
¹ das genannte Ensemble ist nur eine der möglichen Besetzungen und bezieht sich explizit auf die Premiere, die weiteren Vorführungen können in Teilen variieren.
Bild links: Pedro Malinowski, Bild rechts: Bettina Stöß
Bild links: Bettina Stöß, Bild rechts: Bettina Stöß
Bild links: Bettina Stöß, Bild rechts: Bettina Stöß
Bild links: Pedro Malinowski, Bild rechts: Pedro Malinowski